Himmelsmechanik (German Edition)
schon in deinem gefrierenden Blut, und ein paar Kilometer unter deinem letzten Wimpernschlag könntest du die Strände der Versilia sehen, wie sie planiert werden, um sie auf die nächste Badesaison vorzubereiten. Im Laufe der Jahre hat man schon etliche gefunden, am Rande des Abgrunds zusammengerollt, die noch das Meer betrachteten. Nach Monaten noch unversehrt, denn auf der Pania kommen weder Füchse noch Wölfe vorbei; üblicherweise nur Menschen, die anderswo abgehauen sind, manche vom Gesetz verfolgt, andere von Banditen. Und dann wurde 1944 auf der Pania unsere Schlacht bei den Thermopylen geschlagen, und diese Tatsache hätte allein schon genügt, deren Unheil zu bestätigen.
Auch die Kinder in den Schulen kennen die Geschichte von Valanga. Es gibt immer jemanden, der sie erzählt, bei den Menschen herrscht noch die Vorstellung, dass Valanga und seine Männer unseren Stolz auf ewig bewahren. Dabei ist sie nichts anderes als eine Geschichte von Partisanen, aber voller Schönheit und Leidenschaft, die für ein tausendjähriges Epos ausreicht. Fangen wir an, schön war der junge Mann aus Gallicano, der sein Medizinstudium aufgab, um in die Berge zu gehen. Schön war seine Familie und voller libertärer Leidenschaft. Schön war seine Frau, die ihm von einem Engländer weggenommen wurde, den er selbst aus der Gefangenschaft in einem deutschen Lager gerettet hatte und wie ein Bruder in seinem Haus pflegte. Und bereits darin, und im heimlichen und unaussprechlichen Schmerz von Valanga hätte jeder die Blindheit eines Schicksals sehen können, das sich ohne Rücksicht auf irgendjemanden erfüllen sollte. Schöne Gesichter hatten seine Männer, oder besser gesagt, seine jungen Kerle; und es gelingt ihnen, immer noch schön zu sein, dort wo sie sind, in den angeschimmelten Ovalen aus abgenutztem Porzellan in der weißen Marmortafel, ewig wie der Stolz, zu Füßen der Säule, die bestätigt, was gewesen ist. Es war schön, dass sie sich zum Kämpfen für die Pania della Croce entschieden haben: den undankbarsten Ort, der aber am weitesten von den Menschen entfernt war, die unter einem Kampf hätten leiden können. Und voller Leidenschaft waren ihre Taten, sogar bemitleidenswert, auch wenn sie doch stets das Werk von Valanga waren. Sie waren zwanzig, und zweitausend brauchten sie, um sie aufzustöbern. Und natürlich ist es ihnen gelungen, und sie hielten sie dicht am Gipfel fest, tagelang ohne Munition und ohne Brot, bis Valanga die Entscheidung traf, sich gemeinsam hinunterzustürzen, in der letzten leidenschaftlichen Tat, die ihnen blieb: im Sterben zu fliegen.
Man sagt, auf der Pania sei auch mein Vater gestorben, der eines schönen Tages bis zum Kreuz hinaufgestiegen sei und sich hinuntergestürzt habe. Wenn dem so ist, dann ist er 1500 Meter weit im Flug geglitten, bevor er in einem Feld hinter den Stränden der Versilia landete, und ich kann mir zwar vorstellen, was Valangas Leute auf diesem Weg dachten, aber seine Gedanken kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, wer er ist, es gibt nur seine Legende. Die Legende besagt, er habe sich aus Sehnsucht hinabgestürzt, die Sehnsucht habe Besitz von ihm ergriffen und ihn mit dem logischen und einzigen Ziel nach dort oben hinaufgetrieben. Sie reden von seiner Sehnsucht wie von etwas Grausamem und Unabwendbarem, denn er war sehnsüchtig nach dem, was er weder gehabt noch gesehen hatte. Und der Omo Nudo sagt, dass er nur, indem er sich von der Pania stürzte, dem nahe kommen konnte, was er suchte.
Wenn ich also in der Zeit, die ich hatte, um mich um die Duse zu kümmern, an die Pania dachte, dann weil ich mich fragte, ob meine Mutter nicht denselben Weg hätte gehen wollen, wenigstens dieses letzte Mal, ein letztes Mal. Und ich fragte mich, ob sie wirklich nie Sehnsucht nach ihm gehabt hatte, wie sie es aussehen ließ, und sei es durch Unterlassung: Ich habe zu Hause nie etwas von meinem Vater gesehen, kein Foto oder auch nur ein Stück Stoff oder ein Stück Papier, das seinen Geruch bewahrt haben könnte. Und wenn sie von ihm sprach, und das tat sie diffus, benutzte sie dieselbe ehrliche schulmeisterliche Großzügigkeit, wie wenn sie die Geschichten von der Schule der Capria oder irgendeine andere Geschichte der Völker erzählte, mit denen sie mich vertraut machen wollte. Ohne die geringste Spur einer Abwesenheit und eines Schmerzes, kein Zeichen eines gebrochenen Herzens, noch das einer Naht, nur ein scheußlicher Tropengarten. Wenn ich
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