Himmelsmechanik (German Edition)
Schatten glänzen: Und das ist die Duse. Was man noch sieht, ist, dass die Santarellina mit ihren Löckchen kaum an die Augen der Duse heranreicht. Was man nicht genau begreifen kann und was mir die Duse später sagen wird, ist, dass die Santarellina auch für eine Bergbewohnerin in Kriegszeiten außergewöhnlich mager war.
Das gleiche Foto steht auch bei der Santarellina auf dem Küchenschrank, nur der Rahmen ist anders: Bei der Duse ist er aus Silber, bei der Santarellina aus mit Blumen bemaltem Holz. Ich habe die Santarellina gefragt, wer dieses Foto geschossen hat: Es war ein deutscher Offizier, der einen Fotoapparat besaß, den er immer dabei hatte, um alles zu fotografieren. Dieser Offizier hielt manchmal im Wirtshaus an, um einen Punsch zu trinken, wenn er zu Fuß von Castelnuovo herunterkam, und er war für seine Eleganz und seine höflichen Umgangsformen bekannt; er unterschied sich so sehr von allen anderen, dass die Alten unter der Platane ihm den Beinamen Baron gaben. Und sie weiß noch, dass die Duse nur aus diesem Grund zustimmte, sich fotografieren zu lassen: wegen der vornehmen Höflichkeit dieses Mannes, und weil sie unbedingt wollte, dass sie beide verewigt wurden, als sie fröhlich waren, was immer auch später geschehen könnte. Sie erinnert sich auch, dass der Offizier es noch schaffte, ihnen die Fotos zu geben, bevor er seine Garnison räumte, um
den anderen
Platz zumachen. Die Santarellina sagt »die anderen« und meint damit die Italiener der Republik, die Monterosa-Gebirgsjäger. Aus Verachtung und Schande nennt sie sie nicht beim Namen. Sie erinnert sich, als sie »die anderen« zum ersten Mal sah, nämlich als sie kamen, um sich im Stall ihrer Dienstherren die einzige Milchkuh zu holen, die noch da war. Diese Kuh gehörte zwar ihren Dienstherren, aber etwas von der Milch stand auch ihr zu. Und sie erinnert sich, wie sie nichts von ihren Pflanzen wissen wollten; und schließlich erinnert sie sich, dass in der Nacht darauf ein deutscher Soldat aus Castelnuovo mit der Kuh am Strick ankam, um sie zurückzugeben. Und das war die letzte Erinnerung, die der elegante Offizier hinterließ; ein Grund, warum dieser schöne Rahmen, den sie in den Jahren in Newcastle gekauft hatte, nicht nur für sie und die Duse, sondern auch für ihn war. Der Baron war, nach dem, wie sich die Dinge dann entwickelten, wahrscheinlich nicht lange darauf gestorben.
Die beiden Freundinnen hatten sich getroffen, weil die Santarellina in diesem Sommer aus dem Gebirge heruntergekommen war, um im Haus ihrer Dienstherren zu arbeiten. Hier waren, nach den Zwangsrekrutierungen und den Spitzeln und den Razzien, keine Männer mehr für die täglichen Arbeiten geblieben. Sie arbeitete als Mann, nicht als Dienstmädchen. Sie lebte den großen Teil des Jahres in einem Bauernhaus ihrer Dienstherren oberhalb der Rocchette, und da weidete sie das Vieh und durchkämmte die Wälder. Wenn die
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erloschen, ging sie mit den Maultieren, die die Kastanien zu den Mühlen brachten, hinunter. Sie blieb im Dorf bis zu den Feiertagen und etwas länger, und ging wieder ins Gebirge hinauf, wenn der Schnee noch hoch lag; da oben blieb sie bis zum Markt von San Michele, wenn sie mit den Lämmern und dem Käse zum Verkaufen wieder herunterkam.
Doch jetzt, wo an den Rocchette die höchste Frontlinie verlief, und es schien, dass diese Felsen für die Deutschen mehr zählten als Berlin, hatten ihre Dienstherren Kühe und Schafe den Hirten der noch ruhigen Täler jenseits des Vestito in Obhut gegeben und sie ins Dorf geholt; sie würden sie zur Kastaniensaison wieder hinaufschicken.
Übrigens, in der unverzeihlichen Konfusion, die der Krieg oft zwischen Eigentum und Aufkauf, Viehdiebstahl und gerechtem Verfahren schafft, sollten die Dienstherren der Santarellina ihr Vieh nie wiedersehen, das wer weiß wohin verschwunden oder wer weiß an wen verkauft war, und sie mussten sich eine Weile mit der kleinen Kuh zufrieden geben, die der Baron der Santarellina hatte zurückbringen lassen; doch später sollten sie reichlich Entschädigung durch andere Aufkäufe und andere Viehdiebstähle bekommen, die bei anderen Kriegen getätigt wurden, die sie sich in Afrika suchten.
Der Herausragendste von ihnen war ein Sohn, Rizieri, von legendärer Niedertracht, der sofort nach dem Referendum von ’46, aus Angst vor dieser neuen Republik, mit seiner Ehefrau wegging, um Aufseher in einer Diamantenmine in Transvaal, im tiefsten Afrika, zu werden. Er dachte sich ein
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