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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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und der Kuh, und die beiden hatten die Weisung, sie keine ruhige Minute schlafen zu lassen, und bemühten sich, sie mit Tritten und Schnauzenstößen und Fürzen vom sauberen Stroh zu verjagen, wo sie sich etwas bequem hinlegen konnte. Nachts versuchte der Esel, an ihr zu knabbern, und die Kuh, ihr in den Schoß zu kacken, und keiner der beiden zeigte jemals ein Fünkchen Mitleid.
    Also hielt sie die Tiere auf Distanz, ließ sich aber gern mit den Pflanzen ein, und auf besondere Weise mit den Kastanien. Kastanien sind brav, und vor ihnen braucht man nicht im geringsten Angst zu haben; wenn man sie kennenlernen will, helfen sie einem vielmehr immer, falls es nötig ist. Sie erinnert sich an das eine Mal, als sie noch keine zehn Jahre alt war und mit einem Auftrag zu einem
metato
geschickt wurde, wo sie noch nie gewesen war; man sagte ihr, wo der Weg war, und ließ sie allein, als die Sonne schon am Untergehen war. Und sie, die nie etwas zum Klagen hatte, nahm ihre Last und stieg einen Pfad mitten im Wald hinauf, und je weiter sie hinaufstieg, desto dunkler und dichter wurde er.
    Doch es war nicht so sehr die Dunkelheit, die sie erschreckte, als die Tatsache, dass sie die Pflanzen nicht mit Namen kannte. Hätte sie diese Kastanienbäume erkannt, dann hätte sie sie gerufen, und sie hätten sie gehört, und sie hätten sich Gesellschaft geleistet, denn wenn du im Dunkeln gehst, ist Alleinsein das Schlimmste. Wäre sie mit ihnen vertraut gewesen, dann hätte sie die passenden als Sitz gefunden, und ab und zu hätte sie etwas anhalten können, um ihre Füße von den Verstauchungen und Kratzern auszuruhen. Sie hätte gewusst, wo sie ihre Wurzeln hatten, und wäre nicht gestolpert.
    So blieb ihr als Fremder nichts anderes übrig, als mit ihrer Last weiterzugehen und
Tantum Ergo Sacramentum
zu singen, um wenigstens der Versuchung zu widerstehen, anzuhalten und zu warten, dass die Nacht sie packte. Oder schlimmer noch, dass die
belùa
sie packte. Und da Märchen die reine Wahrheit sind, besonders wenn sie Geschichten von Waisen erzählen, ging ihr, genau wie im Märchen, mitten in der Steigung ein Holzschuh kaputt, und sie musste barfuß über Steine und Igel gehen, bis ihre Füße zu bluten anfingen.
    Wenn sie erklärt, in welchem Zustand ihre Fußsohlen waren, verkrümmt die Santarellina ihre Hände zu einem unförmigen Klumpen und lacht, und erinnert stolz daran, wie sie auch damals gelacht hatte über die sonderbare und komische Form, die sie angenommen hatten. Und sie wäre lachend über ihre blutenden Füße an Kälte und Angst gestorben, im Wald verirrt, wenn nicht ein guter Mann vom
metato
gekommen wäre, um nach ihr zu suchen. Wie in den wahrhaftigsten Märchen war der Mann hässlich wie die Nacht, aber mit einem Herzen aus Gold, und er gab ihr ein paar Schuhe, die er mitgebracht hatte, damit sie nach Hause zurückgehen konnte. Die Schuhe waren unsäglich alt und ihre Füße hatten darin so viel Platz, dass es schlimmer war, als wären sie an Steine gestoßen, aber es freute sie so sehr, dass man ihr diesen Gefallen getan hatte, dass sie den Nachhauseweg rannte. Sie lief im Dunkeln in einem unbekannten Wald und lachte, lachte; bis sie das Licht ihres Zuhauses fand, und da begann sie vor Freude zu weinen. An jenem Abend aß sie ihre Portion Polenta mit den Füßen in einer Schüssel kalten Wassers, das sich ganz rot gefärbt hatte; und während sie noch aß, schlief sie schon vor Müdigkeit und träumte.
    Sie lachte beim Träumen, sagt sie. Und sie erinnert sich, dass ihre Träume hauptsächlich den Buckel zum Thema hatten. Denn ihre größte Sorge war eben, einen Buckel zu bekommen, ein Unglück, das sie mehr als jede andere Hässlichkeit ekelte. Ein Christenmensch konnte hässlich wie der Teufel sein und noch mit erhobenem Haupt gehen, doch wenn er einen Buckel hatte, war er der Teufel in Person, und dann konnte er also die Welt nur schief sehen und alles hassen. Sie hatte Angst, einen Buckel zu bekommen, wegen der Lasten, die sie trug. Die anderen Arbeiter erschreckten sie und sagten ihr, so klein, wie sie sei, und bei den ganzen Lasten, die sie auf ihren Schultern trug, bekäme sie einen Buckel, noch bevor sie zwanzig Jahre alt wäre. Sie blieb still, verzehrte sich aber wegen dieses Buckels, der kommen würde, und träumte von nichts anderem als von Buckeln. So hatte sie sich schon mit acht Jahren klare Vorstellungen über das Leben gemacht: Sie hatte beschlossen, nie bucklig zu werden, niemals. Und da das alles

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