Himmelsschatten
Personalabteilung in die Arme lief. Er bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck und sagte: ›Ich muss mit Ihnen sprechen.‹ ›Oh, Scheiße‹, sag ich. Und er sagte: ›Nein, warten Sie, genau genommen bin ich nicht derjenige, der …‹ In dem Moment wusste ich Bescheid. Es war irgendwie typisch … ich hatte ja mein Leben lang mit der NASA zu tun.«
ASTRONAUTIN YVONNE HALL IN EINEM INTERVIEW
VOR DEM START DER DESTINY-7
»Fass das nicht an!«
Dennis Chertok schnellte erschrocken in die Höhe und stieß sich den Kopf an der schrägen Wand der Venture - Kabine. Daran war Keanus Schwerkraft schuld. Yvonne war aufgewacht und hatte gesehen, wie der Kosmonaut emsig dabei war, am rückwärtigen Schott Schränke zu öffnen. Ihr Aufschrei hatte ihn erschreckt. Er rieb sich den Kopf. »Nette Art, sich zu unterhalten.«
Nachdem sie unter dem Einfluss von Medikamenten mehrere Stunden lang geschlafen hatte, reagierte sie ohne nachzudenken; sie hatte nur das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. »Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«
»Ich bin dein behandelnder Arzt.« Er trug die Koalitionsunterwäsche, und auf seiner Nase saß eine komische Halbbrille, die den Kosmonauten aussehen ließ wie einen alten Landarzt bei einem Hausbesuch.
»Ich dachte, du wärst wieder gegangen!« Sie war an die in der Kabine herrschenden Hintergrundgeräusche, das gleichmäßige Summen der Ventilatoren und Pumpen, so sehr gewöhnt – jedes Crewmitglied war total darauf eingestimmt –, dass ihr das Fehlen anderer Töne gleich auffiel; sie war mit Dennis allein, so viel stand fest. »Wo ist Tea?«
»Außenbordeinsatz«, erwiderte Chertok. »Sie und Taj sind mit den anderen in den Schlot hineingegangen.«
»Und sie hat bestimmt, dass du bei mir den Babysitter spielst?«
»Houston und Bangalore waren damit einverstanden.« Er neigte den Kopf in Richtung des Kommunikationspults im vorderen Teil der Kabine. Auf einem Computerschirm war nur Schneegestöber zu sehen, aber Yvonne konnte statisches Rauschen und gelegentlich Stimmen in der Kom-Leitung hören. »Ich habe nichts dagegen, wenn du dir eine Bestätigung einholst.«
»Nein, danke.« Sie fasste nach einem Handgriff und versuchte, sich aus der Hängematte zu hieven.
»Vorsichtig.«
»Bei dieser geringen Schwerkraft kann mir nichts passieren, wenn ich herausfalle.« Nichtsdestoweniger wurde ihr schon schwindelig, als sie nur den Kopf anhob … und die Gravitation mochte noch so niedrig sein, ihr bandagiertes Bein fühlte sich bleischwer an. »Was hast du mit mir gemacht?«
»Deine gebrochene Tibia geschient und Gewebe ent fernt, das durch den Kontakt mit Vakuum geschädigt war.«
»Also, dann sag ich mal Danke. Aber ich fühle mich beschissen.«
»Du bist ziemlich schwer verletzt.«
Sie kannte Dennis Chertok kaum; vor Jahren hatte sie mal ein einziges Training mit ihm absolviert. Natürlich kannte sie seinen Ruf: Er war der Tape Monkey, der Mr. Goodwrench, der Allroundhandwerker bei jeder Raumfahrtmission. Der Veteran, der fünfmal ins All geflogen war, konnte eine defekte Toilette mit einer Pappröhre und einer Büroklammer reparieren oder einen Computer neu programmieren, selbst wenn er nur mit einer Hand tippen konnte, weil man ihm die andere hinter dem Rücken festgebunden hatte.
Obendrein war er noch Arzt. Benommen blickte sie hinunter auf ihr dick bandagiertes Bein und fragte sich, welche Improvisationen Dennis sich hatte einfallen lassen, um ihre Verletzungen zu behandeln. »Ich habe das Gefühl, als sollte ich jetzt etwas essen.«
Dennis deutete auf die Schränke, von denen sie ihn gerade verjagt hatte. »Danach hatte ich gesucht. Nach Lebensmitteln.«
»Geh an die linke Seite. Mein Zeug findest du in der dritten Reihe.«
Die Fächer enthielten nicht nur Proviant, sondern auch den Verbandskasten, Bekleidung, Vorräte, alle möglichen Dinge, die nicht direkt mit operativen Einsätzen, wie zum Beispiel einem Außenbordeinsatz, zu tun hatten.
»Zuerst helfe ich dir aus der Hängematte …«
»Ich schaff das allein!« Es klang schroffer als gewollt.
Dennis drehte sich einfach nur um. Das war ja das Großartige an den Russen, fand Yvonne. Sie ließen es ungerührt zu, dass andere sich ihr eigenes Grab schaufelten. Über die Schulter fragte er: »Worauf hast du Appetit?«
»Ich möchte ein Sandwich.« Astronauten wählten sich selbst ihren Proviant aus, und auf ihrer ISS -Tour hatte Yvonne gemerkt, dass ihr am besten ein Sandwich mit Schinken und Käse schmeckte, dick mit
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