Himmelsschatten

zu denken … und vielleicht seine sterblichen Überreste zu bergen.
    Lucas widersprach nicht, und das hieß, dass sogar er den Ernst der Lage begriff. Zack sah, wie er den Hang hin aufstapfte, hinein in das Zentrum des Bienenstocks.
    »Komm, wir müssen auch weiter«, forderte er Natalia auf.
    Gehorsam rappelte sie sich wieder hoch. »Ich bin stabil«, erklärte sie.
    »Schön. Aber halt dich trotzdem an meinem Arm fest.« Sie machten sich auf den Weg wie ein Liebespaar, das durch einen Park schlendert … in demselben gemächlichen Tempo.
    Weit kamen sie nicht. Bereits nach wenigen Metern setzte sich Natalia wieder auf den Boden. »Ich kann nicht mehr.«
    »Kein Problem«, log Zack. »Wir warten einfach, bis Lucas zurückkommt.« Er kontrollierte die Verbrauchsstoffe seines Anzugs; sie reichten noch für zwei Stunden, massenhaft Zeit, um zu beobachten, wenn auch nicht, um aktiv zu handeln.
    Die Umgebung in der Kammer veränderte sich weiterhin. Das »Wetter« hatte sich beruhigt; es regnete nicht mehr, dafür wehte nun eine sanfte Brise … erkennbar an der Wolke aus Partikeln, die an Zacks Helmvisier vorbeidriftete.
    Die Korallen waren überall völlig zerbröselt. Wenn Zack seinen Augen trauen konnte – aber worauf konnte man sich in dieser Situation schon verlassen? –, dann wandelten sie ihre Form. Zack richtete den Blick auf ein Gebiet, in dem ein älterer Hügel aus pinkfarbenen Trümmern durch grünliche Gebilde ersetzt wurde, die sich ausdehnten und streckten.
    Diese Struktur wuchs . Das war der richtige Ausdruck dafür. Die Korallen reiften zu einer Art Vegetation heran.
    Eventuell auch zu Quasi-Maschinen wie der Wächter.
    Zack wollte so weit weg wie möglich von dem, was auch immer in der Höhle geschah. In der Tat wäre er froh gewesen, dies alles via TV -Kamera zu betrachten, während er sich sicher an Bord der Venture befand.
    Oder noch besser – daheim in Houston. Vorher hatte er Angst gehabt; jetzt war er zutiefst entsetzt. Es lag nicht nur an den schockierenden Erlebnissen und dem Ausbruch von Gewalt … er war sich seiner eigenen Hilflosigkeit bewusst, fühlte sich mittlerweile derart ausgeliefert, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, wie ein normaler Einsatz aussah.
    Er wandte sich wieder dem Bienenstock zu und hoffte, einen letzten Blick auf Lucas zu erhaschen, aber der Größte Astronaut der Welt hatte sich so rasch entfernt – vermutlich, weil die Angst ihn beflügelte –, dass er nicht mehr zu sehen war.
    Zack konnte nichts anderes tun, als den Bienenstock anstarren. Nun merkte er, dass sich auch hier ein paar der Zellen verändert hatten. Über mehrere kleine und mindestens zwei Riesenwaben, die vorher offen waren, hatte sich ein durchsichtiger Film gebildet, der die Öffnungen versiegelte; und diese Schicht schwoll an.
    Als ob sie atmete …
    »Das ist albern«, verkündete Natalia und stemmte sich auf die Füße.
    Dann stand sie aufrecht, wenn auch ein wenig wackelig, und ehe Zack sie daran hindern konnte, schlurfte sie in die Kammer zurück. »Bewegung erzeugt Hitze, Kleine. Lauf nicht weg«, ermahnte er sie. Er linste in ihren Helm … das Visier war so stark beschlagen, dass er ihr Gesicht kaum erkennen konnte. »Wie ist es in deinem Anzug?«
    »Heiß und feucht. Ein Gefühl, als würde ich ersticken.« Das klang beängstigend. Eine der größten Herausforderungen für einen Astronauten bestand darin, zu lernen, wie man in Anzügen unter Stress lebte und arbeitete, ohne an Klaustrophobie zu leiden. Und das unter Normalbedingungen, wenn der Anzug optimal funktionierte.
    Wenn Natalia sich fühlte, als würde sie ersticken, dann hatte sie ein schwerwiegendes Problem. Und Zack konnte ihr nicht helfen …
    »Ich werde etwas versuchen«, verkündete Natalia. Sie hob die Arme, fasste mit den Händen an den Halsring, der den Helm mit dem Anzug verband, und löste die Sperre .
    »Hey, Natalia, das ist aber keine gute Idee!«
    Zu spät. Die Kosmonautin hob den wuchtigen Helm hoch und entblößte ein schweißnasses Gesicht, das so rot angelaufen war, wie Zack es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
    Wie lange würde es dauern, bis sie starb? Würde sie sich wegen Sauerstoffmangels blau verfärben? Würde sie erfrieren … oder anfangen zu zucken und zu zappeln wie der Wächter?
    Nichts von alledem passierte. Sie öffnete die Augen, blickte Zack an, lächelte und holte tief Luft.
    Ein Hustenkrampf schüttelte sie. »Du hast es ausprobiert. Und jetzt setz den Helm wieder auf«, befahl