Himmelsschatten
kaltblütige Gelassenheit während einer Operation. »Wer ist das?«
Nun ein wenig gefasster setzte Blaine sich wieder auf ihren Stuhl. »Keine Streifen am Anzug, also muss es Lucas sein.«
»Er spricht bestimmt mit der Brahma .« Harley griff nach seinem Headset und befand sich Sekunden später inmitten der Kakophonie von Stimmen – Lucas und Taj und Vikram, der Flugleiter in Bangalore, Tea und Kennedy, alle redeten wild durcheinander. So viel zum Thema kaltblütige Gelassenheit in der Mission Control …
Unterdessen versammelten sich rings um ihn her immer mehr Mitglieder des Home-Teams. Während der Funkstille, als die Verbindung zu den Astronauten abgerissen war, hatten sich ein paar Leute auf die Suche nach einem Imbiss gemacht. Soweit Harley wusste, waren einige auch einfach nach Hause gegangen; wer sich früh zurückzog, brauchte keine Sanktionen zu befürchten. Trotzdem – mit jedem Neunankömmling stieg der Lärmpegel im Raum merklich an.
Deshalb verstand Harley kaum die Worte: »Pogo ist tot!«
»Haltet endlich die Klappe!«
Im Zimmer wurde es ganz still, und alle konnten Josh Kennedys Stimme hören. »Trennung, Trennung, Lucas: Wiederholen Sie.«
Endlich war der Link stumm bis auf das leise Zischen und Knistern der Grundwelle. »Ich wiederhole, Pogo Downey ist tot.«
Noch einen Moment Schweigen, dann hagelte es Fragen von jedem Center der Mission Control. Schließlich begriff Harley, dass etwas Großes, Mobiles sich im Innern von Keanu gezeigt hatte, und dass jemand – wer genau es war, blieb vage – ein Foto von diesem Ding geschossen hatte, auf welchem es Pogo niedermetzelte.
Mittlerweile hatten sich auch die anderen Mitglieder des Home-Teams eingestöpselt; sie hörten zu, konnten aber selbst nicht sprechen. Auf ihren Gesichtern malten sich Fassungslosigkeit und Schrecken ab; sie waren nicht nur entsetzt über das, was passiert war, sondern auch über die Geschwindigkeit, mit der sich alles abgespielt hatte.
Obwohl Harley Drake über wissenschaftliches Verständnis verfügte, hatte er nur eine verschwommene Ahnung von dem akribischen und mühsamen Zusammentragen von Datenpunkten, ein Vorgang, der jedoch meistens zu spektakulären Durchbrüchen führte. Selbst bei Raumfahrtmissionen wurden nur allmähliche Fortschritte erzielt.
Heute hingegen war alles anders. Zuerst die Neuigkeit, dass es sich bei Keanu höchstwahrscheinlich um ein künstlich hergestelltes Objekt handelte. Dann die Reihe von wahrhaft verblüffenden Entdeckungen – die Rampen und die Tunnel, die Membran.
Und jetzt schwappte eine regelrechte gottverdammte Woge aus neuen Phänomenen über sie hinweg. Diese fremdartigen Markierungen. Die gigantische innere Kam mer. »Klingt nach Burroughs’ Hohle Erde«, brummte Wil liams und erntete von allen Seiten des Tisches ärgerliches Gekicher.
Luftdruck innerhalb der Kammer? Variable Schwerkraft? Eine Lichtquelle?
Fraktale Korallen. Wasser. Wind. Wetter.
Und – ach ja – irgendeine Art von feindlicher Entität.
Bilder der Umgebung erschienen als Minibilder rings um das Hauptbild auf dem großen Schirm.
Aber Harley wusste sie nicht zu würdigen. Unentwegt dachte er an Patrick Downey, den guten alten Pogo –, der jetzt tot war! »Home-Team an Josh«, sprach er in sein Mikrofon. Er unterbrach die Leute in der Ops nur ungern, aber bis jetzt hatte er noch nicht die Informationen bekommen, die er brauchte.
Es dauerte ein Weilchen, bis Kennedy sich meldete, aber dann antwortete er: »Josh an Harley. Was gibt’s?«
»Ich hoffe, dieser Kanal ist noch codiert.«
Eine längere Pause trat ein. »Warte mal … jawohl«, bestätigte der Flugleiter. »Unsere Eingabe ist codiert. Was mit Bangalore ist, weiß ich nicht.«
»Egal. Jemand muss sofort zu Linda Downey gehen.«
»Scheiße, du hast recht. Wird erledigt. Danke!« Auf einem anderen Schirm, der die Live-Einspielung aus dem Raum der Mission Control wiedergab, sah Harley, wie Kennedy dem hereinkommenden CapCom, »Mr. America« Travis Buell, auf die Schulter tippte und ihm bedeutete, wieder zur Tür rauszugehen …
… um Linda Downey zu eröffnen, dass sie jetzt Witwe war.
Plötzlich erinnerte sich Harley an seine eigene Rolle als CACO : Rachel Stewart würde auch Trost benötigen. »Ich gehe in den Aufenthaltsraum für Familienangehörige«, erklärte er dem Home-Team, obschon sich keiner dafür interessierte. Alle waren damit beschäftigt, ihrem Staunen mit lautstarken Oooohs und Aaaahs Ausdruck zu verleihen und sich den
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