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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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Julius keine wirkliche Antwort geben würde.
    »Ich komme und gehe von vielen Orten, seit vielen Jahren«, antwortete er.
    »Viele Orte kennen, das muss fantastisch sein. Herumreisen, das Meer, die Seen, die Berge, all diese unterschiedlichen Welten sehen, es ist doch wundervoll!« Und sie begann zu schwärmen: »Irgendwann werde ich genug gespart haben, dann werde ich mir auch die Welt anschauen, erst einmal die Berge. Und dann werde ich an die Adria fahren, nach Venedig, dann nach Rom. Und wenn ich all das gesehen habe, dann möchte ich nach Paris.«
    »Warum ausgerechnet Paris?«
    »Arbeiten!« Und Isabel erzählte von ihrer Leidenschaft für die schillernde Metropole, für die Welt der Eleganz und der schönen Frauen, von ihrer Liebe zu schönen Stoffen, Mustern und Schnitten. Und sie erzählte von der Modeschule, die sie besuchen würde, sobald sie genug Geld verdient haben würde. »Ich fürchte, die Berge und die Adria müssen noch etwas warten«, sagte sie lächelnd.
    Im Atlanta war es inzwischen ruhiger und schummriger geworden, Licht spendeten nur noch die Kerzen auf den Tischen. Es war so weit, des Abends langsamer Teil begann, zärtliche, langsame Klänge mit sehnsuchtsvollen und klagenden Worten erlaubten all den eben noch ausgelassen tanzenden Pärchen, sich nun endlich aneinander zu schmiegen. Wangen legten sich an Wangen, Hände ergriffen einander, und die Körper schoben sich langsam im Takt über den Tanzboden im Takt schmachtender Lieder. »Hören Sie?«, fragte Isabel und sang leise zur Melodie. »Ganz Paris träumt von der Liebe, denn dort ist sie ja zu Haus …«
    Vom Alkohol leicht schwankend stand sie auf. »Kommen Sie, bitte tanzen Sie mit mir. Nur ein einziges Mal. Zu diesem Lied«, bat sie und zog Julius von seinem Stuhl. »Es tut nicht weh. Und es ist langsam.« Er folgte ihr auf die Tanzfläche. Den Rest des Abends ruhte ihre Hand in der seinen, war ihr Körper an den seinen gedrückt, und Isabel spürte eine so faszinierende Vollkommenheit körperlichen Einklangs, dass sie nichts sehnlicher wünschte, als dass dieses Gefühl nie enden möge.
     
    Sie gehörten zu den letzten Gästen, die das Lokal verließen. Es war bereits zwei Uhr, die Straßen und Gassen leergefegt. In Isabels Kopf herrschte heilloses Durcheinander, denn sie hatte zu viel getrunken. Egal. In ein paar Stunden würden die Vögel zu singen beginnen, Julius würde irgendwohin entschwunden sein, und sie läge in ihrem Bett. Es näherte sich alles dem Ende. Und sie konnte nichts daran ändern.
    »Darf ich Sie noch nach Hause begleiten?«, fragte er plötzlich.
    Verlegen und bemüht, ihre Freude und Aufregung zu verbergen, erwiderte sie: »Ich wohne zur Untermiete, Gäste sind nicht willkommen, vor allem keine männlichen, und schon gar nicht zu dieser Stunde.«
    »Ich wollte nur sichergehen, dass Sie gut nach Hause kommen. Mehr nicht.«
    Isabel begriff, dass sie eine Antwort auf eine Frage gegeben hatte, die ihr Begehren gestellt hatte. Nicht er. Diese war: Wie ihm näherkommen, wie die Nacht nicht enden lassen?
    »Heißt das ja oder nein?«, fragte er noch einmal. Sie nickte. Beschämt und leicht errötet.
    Als sie sich verabschiedeten, küsste er Isabel auf die Wange. »Danke für die schönen Stunden«, sagte er. »Danke«, dann ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Am nächsten Tag erschien er wieder im Lokal, und Isabels Herz hüpfte vor Freude. Sie verabredeten sich zum Kino. Vom Winde verweht.
    Danach unterhielten sie sich über Amerika, über die Unendlichkeit dieses Kontinents, über die vielen Ziele, die sie sich noch stecken konnten. Am zweiten Tag unternahmen sie einen langen Spaziergang die Alster entlang, sprachen über das Leben der Matrosen, ihre Fahrten über den Atlantik, über die Weite des Meeres. Und am dritten Tag hatten sie viele ihrer Träume und Wünsche voreinander ausgebreitet. In ihren Sehnsüchten waren sie sich nähergekommen, doch jene Nähe, die ein anderes Begehren als das nach Ferne andeutete, war immer noch zaghaft. Im Kino hatte er sachte ihre Hand berührt, als Rhett Butler Scarlett küsste und Isabel Tränen in den Augen standen. Auf ihren Spaziergängen nahm er sie manchmal in den Arm, wenn eine kühle Windbrise sie frösteln ließ. Vor der Haustür küsste er sie nur flüchtig auf die Wange. Mehr nicht. Die Entsagung weiterer Zärtlichkeit ließ Isabel mal verzagen, mal wurde sie aufgrund seiner scheuen Reserviertheit innerlich ungehalten, und gleichzeitig entbrannte in ihrem

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