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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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nie Einzug halten im Tremplerhof.
    Während die Bewohner im Ort langsam dazu übergegangen waren, ihre Herdstellen zu modernisieren, indem sie in ihre Küchen Holzöfen bauten, kochte und brutzelte man auf dem Tremplerhof noch über dem offenen Feuer. Während die Fuchsbichler Frauen im Tal Baumwollunterwäsche erstanden, nähte man sie auf dem Tremplerhof noch aus rauem Leinen. Und während in Fuchsbichl der Strom die Glühbirnen zum Leuchten brachte, saß die Tremplerfamilie noch bei Kerzenlicht um den Tisch. Die Strompfosten endeten nämlich unmittelbar hinter Urban Kraxners Haus. Elektrizität in die Höhe zu verlegen, war viel zu teuer.
    So war alles auf dem Tremplerhof seit über hundert Jahren unverändert geblieben, und der Familie blieb nur das Hoffen auf eine andere, auf eine schönere Zukunft.
     
    Die unsägliche Armut der Tremplerfamilie wurde verstärkt durch den Stolz, den der alte Florian Trempler besaß, entstammten seine Vorfahren doch einer Knechtsfamilie, der man einen Hof überlassen hatte, den kein veritabler Bergbauer mehr zu bewirtschaften in der Lage war. Die Hänge zu steil, der Grund zu wenig und zu viele Felsen, als dass man ausreichend Vieh hätte halten können. Mehr als eine Kuh und ein paar Ziegen gab der Tremplerhof nicht her. Doch der Bauer war zäh und einfallsreich. Florian lehnte die Angebote des Kraxnerbauern ab, auf dessen Hof zu arbeiten und so ein besseres Leben zu führen, er lehrte seine Kinder, trotz Armut, Entbehrungen und körperlicher Strapazen, die das Leben dort oben in der einsamen Höhe mit sich führte, Lebensfreude zu verspüren, ein offenes Herz zu haben und die schönen Dinge des Lebens zu sehen: die funkelnden Sterne in der Nacht, die überwältigende Natur, wenn sie morgens aus ihren kleinen Fenstern blickten, den großen Wasserfall auf der gegenüberliegenden Bergseite, die Blüten der Wiesenblumen. Und er achtete darauf, dass sie regelmäßig in die Schule gingen. Selbst wenn der Winter noch so hart war und die Kinder bis zur Hüfte im Schnee einsanken, zogen sie dennoch los ins Tal. »Die Schule und die Bildung, das ist das Einzige, was wir uns leisten können«, pflegte der Bauer ihnen zu sagen.
    Und abends berichteten sie im Schein der Lampe über die Welt jenseits des kleinen, unwirtlichen Kosmos, in dem sie lebten.
    Doch dann kam der Krieg, nicht der erste, den Florian erleben musste. Als sich die Truppen verzogen, die Bomber und Granatfeuer verstummten, begannen erst des Bauern große Kämpfe. Und er verlor sie alle: den Kampf gegen die langjährige Krankheit seiner Frau, den schließlich der Tod für sich entschieden hatte, den Kampf gegen die Trauer über das Sterben seiner beiden älteren Söhne auf den Schlachtfeldern und den Kampf gegen das Fernweh, welches, wie der alte Trempler vermutete, seinen jüngsten und liebsten Sohn, den Luis, vom Weiler fortgelockt hatte. Luis, sein liebster Sohn. Er war anders geraten als alle anderen Bewohner des Weilers. Immer schon hatte er in einer eigenen Welt gelebt, er saß stundenlang auf der großen Fichte und starrte über die Felsen in die Ferne. Und eines Tages hatte sie ihn verschluckt.
    Irgendwann war schließlich dann der alte Trempler selbst samt seinem Vieh über Nacht verschwunden, nachdem er die Fenster verriegelt und die Türe mit einer Kette verschlossen hatte. Die Fuchsbichler hörten sich nach seinem Verbleib um, überall, auch in den Seitentälern, doch konnte niemand Auskunft geben. Der Florian blieb verschwunden. Der Briefträger hatte in den ersten Jahren noch einmal im Monat den weiten Weg nach oben zum Tremplerhof angetreten, um die wenige Post dort abzuliefern. Auf dem Rückweg hatte er stets beim Urban eine Pause eingelegt, wo es guten Schnaps gab. Er saß dann in der Stube und erzählte Urban von den Karten, die er oben im Tremplerhof in den Barren geworfen hatte, weil das den Kraxnerbauern gar so interessierte, was draufstand und woher sie geschickt worden waren. Bis zu jenem Tag, an dem der Briefträger berichtet hatte:
    »Urban, heut’ kam ein Brief, irgendwoher von ganz weit weg, ich kann es gar nicht erkennen, was auf der Briefmarke steht.« Der Kraxnerbauer hatte gegrinst.
    »Zeig her.« Er holte sein Monokel aus der Schublade und betrachtete die Marke. Dann sagte er: »Gut, kannst den Brief hier lassen, brauchst jetzt wohl nimmer zum Tremplerhof gehen. Da kommt niemand und nichts mehr.«
    Und so hausten von da an im alten Tremplerhof nur mehr die Tiere, Mäuse, Siebenschläfer,

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