Himmelsspitz
der stickigen Luft. Das normale Leben kehrte zurück in den Stall. Die Kühe ließen sich schwerfällig zu Boden fallen, holten das Heu aus ihren Mägen und setzten ihre Verdauung fort, die Katzen bekamen einen Tritt und trollten sich. »Mei, Vinzenz, i hoff, der Herrgott verzeiht’s«, sagte Josefa und knöpfte sich die Bluse zu. »Hauptsach, der alte Kraxner merkt nix«, antwortete Vinzenz und zog sich die Hose hoch.
Und der Kraxnerbauer hielt ganz still. Ein Spinnerich im Netz, der sich und seinem Opfer eine kleine Henkersmahlzeit gönnte.
Eigentlich verspürte Urban Mitleid mit Vinzenz. Der war zwar nicht der Hellste, dafür aber fleißig und ohne Widerworte, egal was Urban ihm anschaffte. Und das war viel. Zufrieden dachte der Kraxner daran, was ihm damals gelungen war: Agnes mit Vinzenz zu verbandeln! Geschickt und listig war er da vorgegangen, wenn auch etwas streng. Zugegeben. Aber die Eile hatte ihm im Nacken gesessen, ein paar Wochen des Wartens noch, dann hätte sich Agnes’ Leib gewölbt. Und wer hätte die Unkeusche dann noch zum Altar geführt? Niemand, nicht einmal der Vinzenz.
Verstohlen betrachtete er seinen Schwiegersohn von der Seite, wie er neben ihm dahinschlurfte, den Kopf leicht gesenkt, mit hängenden Schultern. Eigentlich schade um ihn, ungeliebt vom Weib, ohne Haus und Grund, fest in der Hand des alten Kraxner. Und der sollte einmal den stolzen Hof führen? Urban schüttelte es bei dieser Vorstellung. Er zog seinen Flachmann aus der Tasche. »Vinzenz, trink an Schluck! Heut werd so richtig g’feiert!«, rief er dann und gab seinem Schwiegersohn einen Rempler in die Seite. »Ha, Vinzenz? Und dann tanzt amal wieder mit deiner schönen Frau, so wie früher, weißt noch, wo’st dich verschaut hast in meine Agnes.«
»Glaubst denn, die Frauen sind schon da?«, fragte Vinzenz.
Urban zuckte mit den Achseln und grinste: »Werden wir schon sehn.«
Endlich erreichten sie die Festwiese, auf der das größte Zelt aufgebaut war, das es im Tal jemals gegeben hatte. Das erste Treffen aller umliegenden Schützenkompanien nach dem Krieg stand bevor – ein wirklich denkwürdiger Anlass.
Überall standen Kutschen und geschmückte Heuwagen herum, an denen glänzende, sauber gestriegelte Haflinger mit langen Mähnen angebunden waren. In ihren Schweifen trugen sie Geflechte bunter Blumen. Aus jeder Richtung kamen die Festgäste herbeigeströmt, alle in unterschiedlichen Trachten. Junge und Alte, Bauern, Handwerker, Knechte und Mägde, fein herausgeputzt, sie alle begleiteten die Kompanien ihrer Männer. Unter ihnen standen zahlreiche Touristen mit gezückten Fotoapparaten.
Im Gänsemarsch bahnten sich die Fuchsbichler Männer den Weg durch das Getümmel, Urban an der Spitze, am Schluss der humpelnde Oswin, schon reichlich ermattet, obgleich es erst später Vormittag war. Doch die Sonne schickte an diesem Tag ihre wärmsten Strahlen ins Tal. Und als Oswin das Festzelt betrat, dachte er, er sei im Fegefeuer angekommen, so unerbittlich brannte die Sonne aufs Dach und schürte Temperaturen, die alles schmoren ließen.
Das Innere des Zelts war mit Girlanden aus Heublumen geschmückt, an den Pfosten hatte man kleine Birkenbäume gebunden und an den Wänden lehnten bunte Schützenfahnen. In der Mitte befand sich die Tanzfläche, dahinter die Musikkapelle, die bereits fleißig am Musizieren war. Die Bedienungen wuselten, mit schweren Bierkrügen beladen, zwischen den Tischen hin und her.
»Unsere Frauen sind noch net da, glaub i«, vermutete Vinzenz.
»Kommen schon noch, jetzt suchen wir erst amal unsern Tisch«, erwiderte Urban und steuerte auf einen freien Platz direkt vor der Musikkapelle zu.
Kaum hatten sie sich gesetzt, klopfte der Kraxnerbauer ungeduldig auf den Tisch. »Hey, wo bleibt die Bedienung?«, rief er.
»Siehst net, dass die viel zu tun haben?«, sagte Robert.
»Sollens halt schneller gehen«, schimpfte Urban.
»Die Frauen wollten doch schon gegen elf Uhr da sein, haben’s doch g’sagt. Bald fangt der Auftanz an. Die Trachtler versammeln sich schon alle.« Vinzenz war sichtlich nervös.
»Mein Gott, dann geh halt vor zur Post und ruf an bei der Cilli.« Urban trug ein spöttisches Grinsen um die Mundwinkel. »Bei der Cilli anrufen, wie das klingt, ist schon lustig, dass ausgerechnet die Fenderfamilie das erste Telefon in Fuchsbichl haben muss. Telefonier mal mit a Taubstummen«, lachte er Tränen. »Rauchzeichen, so wie die Indianer, die wärn da besser.«
»Was bist heut so
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