Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
Vom Netzwerk:
die Ertränkungsprozedur überlebt hatte. Kurz nachdem die kleinen Tiere nicht mehr an Mutters Zitzen gesaugt hatten, sondern begonnen hatten, wie eine halbwüchsige Horde durch Fuchsbichl zu ziehen, dabei die eine oder andere Küche plünderten, landeten sie eines frühen Sonntagmorgens unfreiwillig in der Wassertonne hinter dem Schafstall. Zusammen mit den anderen Welpen hatte Wurzl minutenlang gegen den nassen Tod gestrampelt, bis die Granbichler Zwillinge vom kläglichen Jaulen der Tiere aufwachten. Doch bis sie den grausigen Ort ausfindig machen konnten, schwammen die kleinen Leiber bereits mit aufgerissenen Mäulern und trüben Augen unter der Oberfläche. Scheinbar leblos. Weinend fischten die Mädchen die toten Tiere aus dem Wasser und trugen sie zum Misthaufen.
    Drei Stunden später, nachdem unten im Tal die Sonntagsglocken zum Gebet gerufen hatten, standen die Fuchsbichler zwischen den Kirchenbänken und murmelten mit gesenkten Köpfen das Vaterunser. Leiser als sonst. In der Monotonie des Tons, der die Kirche erfüllte, schwang die geistige Abwesenheit der Betenden mit. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Während die Fuchsbichler Gott um Vergebung baten, hingen sie gemeinsam einem einzigen Gedanken nach, welcher Urban und seinem kleinen Enkel galt.
    Ab und an schielten sie hinüber zu den beiden. Sie schickten anklagende Blicke zu Urban, welche der mit hämischem Grinsen quittierte, und bedauernde zu Tobi, der klein und schmächtig neben seinem Großvater zu Gott sprach. Ohne Regung, als wäre alles Leben von ihm gewichen, stand er da und starrte auf die gefalteten Hände seines Großvaters, wissend: Das sind die einzig Schuldigen, die um Vergebung bitten sollten.
    Niemand sonst im Ort hatte an den kleinen Tieren so gehangen wie Tobi. Tagelang hatte er Großvater bekniet, er möge doch gestatten, dass Cilli einen Welpen dem Kraxnerhof überlässt.
    Irgendwann war Urban der Kragen geplatzt. »Erstens, nie wieder ein Wort über die Sauviecher, und zweitens: Ab heut hörst auf, mit den Viechern zu spielen, damit endlich amal a Ruah ist«, hatte er Tobi angebrüllt, dass die Wände der Fuchsbichler Häuser zitterten. Er hatte den großen Muslöffel aus dem heißen Brei gezogen und immer wieder auf den blanken Rücken des Jungen sausen lassen, bis der blutige Striemen zeigte. Erst als Agnes sich dazwischen warf, hatte das grausame Schlagen ein Ende gefunden.
    Der Geprügelte kroch die Stiegen hoch in seine Schlafkammer und suchte Trost in den weichen Kissen seines Betts. Er zitterte vor Wut und weinte vor Schmerz, bis ihn schließlich ein Fieber erlöste, indem es ihn in wohlige Watte packte und weit fortschweben ließ, dorthin, wo er niemanden mehr hörte. Nicht einmal die Mutter, die Tag und Nacht voller Bange an seinem Bett verbrachte, und auch nicht Urban, wenn er seinen Kopf in die Schlafkammer steckte und moserte:
    »Hab dich net a so, werd schon net so schlimm sein.« Das Fieber stieg unaufhörlich, bis Tobi eines Tages derart glühte, dass Agnes die durchgeschwitzten Laken stündlich wechseln musste. Sie wickelte kalte Tücher um seine dünnen Beine, sie strich die nassen Locken, die an seiner Stirn klebten, nach hinten und flüsterte ihm zärtliche Worte ins Ohr.
    »Werd g’sund, mein Herz, ich bitt dich so, werd g’sund.« An dem Tag, an dem das Fieber so hoch gestiegen war, dass Agnes fürchtete, die Hitze würde ihr geliebtes Kind forttragen, kroch sie zu ihm unter die Decke ins feuchtheiße Bett.
    »Tobilein, geh net von mir, ich fleh dich an. Lass mich net allein. Was soll ich ohne dich tun, was nur?«, schluchzte sie. Dann hatte sie den abwechselnd glühenden und schlotternden Jungen so fest an ihren Leib gedrückt, als wollte sie ihn wieder in die sanfte Geborgenheit zurückpressen, der er entschlüpft war.
     
    Arme Agnes, auf welch mühsamer Gratwanderung sie sich doch befand: zwischen ihrem Sohn, dem jähzornigen Urban, dessen Hass auf den Enkel mit zunehmendem Alter immer schwerer auszuhalten war. Und dann war da auch noch Vinzenz, ja der. So wie Urban dem Bub ein unerbittlicher Großvater war, erwies Vinzenz sich als strenger Vater. Karge Worte, kein Lob, viel Tadel und Prügel, wenn Agnes nicht zugegen war. Und hätte er sicher gewusst, dass das Kind nicht sein eigen Fleisch und Blut war, wer weiß, was der Bub sonst noch Arges hätte erdulden müssen.
    Ihren Sohn liebte Agnes über alles, dem Vater hatte sie gelernt zu gehorchen und ihn zu achten,

Weitere Kostenlose Bücher