Himmelsspitz
bist.« Urban lachte hämisch vor sich hin. Vom Vinzenz konnte er die Schläue nicht haben, so deppert wie der war. Gott sei Dank, war der so deppert, dass er nicht einmal nachgerechnet hat, wann er zum ersten Mal in die Frau gedrungen und nach welcher Zeit der Balg aus ihr herausgeflutscht war. Genauso deppert wie all die anderen im Ort. »Ganz der Vater«, sagten sie immer zum Vinzenz, »ganz der Vater.« Mein Gott, wie kreuzdumm waren die Fuchsbichler alle. Urban lachte laut auf, doch dann zog die Erinnerung an jenen Tag seine Mundwinkel unvermittelt zusammen. All die Fliegen und das Blut auf den weißen Beinen seiner Tochter, als sie so dagelegen hatte, so weit weg, während der Säugling brüllte, dass es nicht mehr schön war. Ja, die Agnes, seine Tochter, sein Augapfel. Von wem hatte Tobi die Schläue geerbt? Von der Agnes, seiner Tochter, somit auch vom klugen Kraxnerbauer? Oder doch vom Vater, dem Luis? Scheißegal.
»Scheißegal«, brüllte er den Haflinger an.
Oben, am Himmel braute sich etwas zusammen. Dunkle Wolken zogen auf und kündigten einen Wetterumschwung an. Kein Wunder, dachte der Bauer, war eh zu heiß heute. Schon seit der Früh. Er verspürte Durst. Kühles Bier wäre recht.
Wo die Fuchsbichler Frauen jetzt wohl waren? Habens den Wurzl gefunden? Und Agnes, würde sie es wagen, ihn, den Kraxner, den Vater, anzuklagen? Agnes’ ganzes Herz, nur für den Bub. Wie sie ihn ansah, umsorgte, hegte, pflegte, liebkoste und sich um ihn sorgte, dass er ja nicht zu viel zu rackern habe, auf dem Hof. Aber der Urban kannte da schon Wege, ja. Großvater und Enkel, die hatten da eine eigene Sprache, wohl wahr. Und die hatte sich gewaschen.
Socken anziehen, Urban, so kannst nicht ins Zelt gehen, mit dem hölzernen Stumpen da unten. Dann den Schuh. Eins, zwei, fertig, los. Dann zur Drallen. Herrje, da war sie wieder, die Lust. Die Hand im Schritt drückte zu, und die Gedanken hüpften wild durcheinander, wie eine Herde toller Zicklein, immer wirrer: vom Stumpen zum Köter, zu den Frauen, zur Lust, zum Trempler, zum Enkel, zum Wetter und schließlich hin zur Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, wieder zurück ins Zelt zu gehen, denn es war spät geworden inzwischen.
Einerlei.
Er wickelte seine Wunde wieder ein, und als er sich gerade an der Kutsche in die Höhe ziehen wollte, flatterte ein angerissener Papierfetzen auf seinen Schoß. Eine vertraute Stimme sagte:
»Da bist ja, hab dich g’sucht. Da, lies!«
»Ich habe heute wieder die Frau gesehen.«
»Welche?«
»Die immer schwarz angezogen ist.«
»Mhm. Und?«
»Sie ist in die Kapelle gegangen, die sonst immer zugesperrt ist. Sie ist einfach reingegangen.«
»Sie hat einen Schlüssel. Jeder von uns Dorfbewohnern hat einen Schlüssel, damit wir die Heilige Maria besuchen können, wann wir wolln.«
»Die Heilige Maria?«
»Ja, die Muttergottes. Sie hilft uns, wenn wir in Not san. Wir beten zu ihr und manchmal schreiben wir ihr Bittzettel.« Er lächelte und fügte hinzu: »Und dann hoffen wir, dass sich unsere Gebete und Wünsche erfüllen.«
»Warum geht denn die Frau so früh in die Kapelle? Es war noch dunkel.«
»Vielleicht wollt sie allein sein. Sag amal, kleine Lea, wieso bist du so früh auf den Beinen, solltest du zu der Zeit net schlafen?«
Karl kletterte auf die Leiter und tauchte den Pinsel in den Farbeimer.
»Ich glaube, sie hat Kerzen angezündet, viele Kerzen. In den Fenstern hat es geflackert. Warum macht sie das?«
»Na, man zündet Kerzen für jemanden an, der g’storben ist und an den man grad denkt.«
»An wen hat sie denn gedacht?«
»Lea, du stellst mir aber viele Fragen. Erzähl lieber, was du heute noch alles Schönes vorhast. Macht ihr einen Ausflug?«
Lea schüttelte den Kopf. »Meine Mutter fühlt sich nicht gut.«
»G’fallt’s ihr net bei uns?«
»Ich weiß nicht, sie hat schlechte Laune. Das macht mir aber nichts.«
Lea rutschte ungeduldig auf dem Schemel herum. »Warum zündet man eine Kerze an, wenn man an jemanden denkt?«
»Damit jemand, der g’storben ist, im Todesreich a Lichtlein hat.«
»Ah, aber bei den Toten ist es doch hell, im Himmel ist es schön.«
»So so.«
»Ich weiß es, ich weiß auch, dass Tote auf den Berggipfeln tanzen, wenn die Wolken da sind.«
»Sag mal, Lea, woher weißt du das denn alles so genau?«
»Hat mir mein Vater erzählt. Im Traum.«
»Mhm«, brummte Karl und stieg von der Leiter, um sich seine Malerarbeiten von der Ferne zu betrachten. »G’fallt mir gut,
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