Himmelsspitz
wurde.
»Herrgott, was machst denn heute mit deiner Sonne? Lässt sie gar so wüten«, murmelte er.
Wo war er in seinen Gedanken stehen geblieben? Richtig, bei Wurzl, dem Köter.
Urban war hinüber zum Stall gegangen. Er hatte den Hund hinter einem Heuhaufen gefunden, wo er sich zitternd und hechelnd versteckt hatte. Urban bekam ihn am Schwanz zu fassen und zog ihn zu sich. »Wollt ihn ja nur schlagen, mehr net«, murmelte Urban zu dem Haflinger.
Aber weil sich der unglückselige Wurzl in seiner Panik und aus Schmerz in Urbans Arm verbissen hatte und nicht losließ, griff der Kraxner zum Beil, drückte den Kopf des Tieres zur Seite und schlug zwei Mal treffsicher zu, so als hätte er sein Leben nichts anderes getan, als Schlappohren abzuhacken.
Wer hat denn unbedingt wollen, dass der Köter auf den Hof kommt?
Tobi. Ja der!
Schon als der Balg dagelegen hatte, zwischen den Beinen der Tochter, da war dem Kraxnerbauern klar gewesen, dass alles ein Unglück geben würde. Der Enkel des alten Trempler Florian war auch sein Enkel, die Familien waren verbandelt durch den Tremplersohn Luis. Herrschaftszeiten, die Folgen der heimlichen Liebe seiner Tochter hatte er nicht verhindern können, auch nicht, als er Luis gezwungen hatte, sofort zu verschwinden. Jawohl, erpresst hatte er ihn. Gehen hat er sollen und zwar sofort, sonst wäre es aus gewesen mit dem Wasser für den Tremplerhof. Da wäre der alte Florian samt Sohn Luis hoch droben auf dem Hof gesessen, ohne Wasser. Denn wer hatte das Quellrecht? Wer hatte die Macht über das Wasser, wer bestimmte, zu welchem Brunnen es führte – und zu welchem nicht? Wer? Er, der Kraxner!
Urban grinste vor sich hin, bei dem Gedanken an jene Morgenstund, in der er dem Luis aufgelauert hatte, nach seiner Schäferstunde, oben in der verlassenen Kneislhütte. Wäre da nicht ein übler Kerl mit einem Gewehr dazwischengegangen, hätte er dem Luis schon dort eine Abreibung verpasst, die der nie vergessen hätte. Bis heute wusste er nicht, wer der geheimnisvolle Beschützer der beiden gewesen war. Luis’ Vater etwa, der alte Trempler Florian?
Dieser Florian, warum nur kam der ihm immer wieder in den Sinn, ließ ihn nicht los, erschien ihm gar im Traum? Immer noch, nach all den langen Jahren? War der Krieg doch schon lang vorbei, die Toten in ihren Gräbern verfault, die Zeugen der Geschehnisse in alle Winde zerstreut. Auch der alte Tremplerbauer selbst.
Urban lehnte seinen Kopf an den Kutschwagen. Ich hätt ihm damals auch den Kolben übern Schädel ziehn solln, so wie den Kötern, sinnierte er. Mit einem Schlag hätte er das schlechte Gewissen beseitigt gehabt.
»Draufhaun hätt ich ihm den Kolben sollen«, brüllte er den Haflinger an und schlug ihm dabei mit der Faust in die weichen Flanken. Aber er hatte ja gedacht, der Tremplerbauer stünd dem Herrgott schon gegenüber, so wie der dagelegen hatte, reglos inmitten all der toten Tiere, blutig wie Schlachtvieh.
»Florian, lebst noch?«, hatte Urban ihn gefragt.
»Ja«, hatte er geantwortet. Doch weil dessen starre und trübe Augen ins Leere blickten, war Urban sicher, Florian würde in Bälde sein Leben aushauchen.
»Bald ist’s vorbei, das Leid, so wie du ausschaust. Was für a End, ha?«, antwortete Urban ihm mit regungsloser Stimme, während er in Florians Hosen nach Brauchbarem suchte, jedoch nichts fand. Und so war er weitergekrochen, hinüber zum Gefreiten, der gar jämmerlich stöhnte: »Hol Hilfe, die Schmerzen.«
»Ja, ja, werd schon«, antwortete Urban und fischte aus dessen Tasche zwölf große Taler. Und? Was war schon dabei gewesen? Spielte Silber eine Rolle im Himmel? Nein, und auch nicht in der Hölle, dachte Urban, während der Sterbende seinen letzten Atemzug tat.
Dann hatte sich der Kraxner von dannen geschleppt. Zwei Tage war er durch die Berge geirrt, bis ihn Kameraden unter einer weichen Decke aus kaltem Schnee fanden, halb erfroren. Nachdem man ihm im Lazarett das zerfressene Bein abgenommen und ihn zurück nach Fuchsbichl geschickt hatte, legte Urban die Taler in eine Schachtel, welche er im hintersten Speichergebälk versteckte.
Was für ein gottverdammter Irrtum, was für ein Fehler!
Wochen später, nachdem man bereits dessen Tod, wie er von Urban beschrieben worden war, beweint hatte, war der Tremplerbauer wie ein zerfetztes, dunkles Gespenst durch den Ort gekrochen, anstatt in Ruhe sein Dasein droben über den Wolken zu fristen.
Herrje, starb denn ein Trempler nie? Warum hatten seine Augen alles
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