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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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aufständischen Nationalgardisten hinaus zum Schloss und zwangen die königliche Familie zum Umzug nach Paris in die Tuilerien, wo man sie unter Kontrolle hatte.
    So machte Marat sich in kürzester Zeit alle Mächtigen zu Feinden. Nach zwei Monaten wurde seine Zeitung ein erstes Mal verboten, die Druckerei polizeilich durchsucht und er selbst zur Verhaftung ausgeschrieben. Rechtzeitig gewarnt, tauchte er unter und versteckte sich bei einem Freund. Die Zeitung erschien weiter. Einen Skandal entfachte er im Juli 1790, als der«Volksfreund»schrieb, dass man, um schlimmeres Blutvergießen zu vermeiden, baldmöglichst fünfhundert oder sechshundert Reaktionären den Kopf abhacken müsse. Später korrigierte Marat die Zahl der abzuschlagenden Köpfe auf zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend.
    In den folgenden vier Jahren, von 1789 bis 1793, veröffentlichte er neunhundertvierzehn Ausgaben des Ami du Peuple und schrieb über zehntausend Seiten. Seine Tage verbrachte er auf der Straße oder in stets wechselnden Druckereien, und nachts versteckte er sich vor der Polizei in den feuchten Kellern von Freunden, mal beim Schweizer Uhrmacher Abraham Bréguet, seinem Schulfreund aus Neuenburger Tagen, mal bei seiner Gönnerin, der Marquise de l’Aubespine, dann bei Mademoiselle Fleury, einer Schauspielerin an der Comédie-Française – und im Wachsfigurenkabinett der Marie Grosholtz in der Rue du Temple.
    Es war an einem Samstagabend, erzählt Marie in ihren Memoiren, dass Marat vor ihrer Tür stand und um Asyl bat. Ein sehr kleiner Mann sei er gewesen, mit rabenschwarzem, ungekämmtem Haar, dunklen Augen und stechendem Blick, grünlicher Hautfarbe und sehr kurzen Armen, von denen der eine zudem lahm zu sein schien. Er habe eine kleine Reisetasche bei sich gehabt, die all seine Kleider enthielt und sich zudem zu einer Schlafmatte ausrollen ließ, und er sei eine Woche lang geblieben, habe die meiste Zeit in einer Ecke gesessen und im Licht einer kleinen Lampe geschrieben. Beim kleinsten ungewohnten Geräusch sei er in Angst und Schrecken geraten und habe sich in einem abgelegenen Winkel des Hauses versteckt; wenn er aber, was mehrmals geschah, vom Abendessen fliehen musste, vergaß er nie, seinen Teller mit ins Versteck zu nehmen. Überhaupt scheint ihm, wenn man Marie Grosholtz glauben will, die Ernährung sehr wichtig gewesen zu sein.«Na, du liebes junges Ding», soll er ihr einmal auf Deutsch gesagt haben,«lass uns mal Knödel und Fisch zusammen essen.»Hingegen habe er sehr wenig auf seine äußere Erscheinung und weltlichen Reichtum gegeben und nur mit großer Zurückhaltung getrunken. Nach genau einer Woche, wiederum am Samstagabend, habe Marat Abschied genommen und Curtius für die Gastfreundschaft gedankt. Zu Marie habe er als Letztes gesagt, sie sei ein gutes Kind. Sie sollte ihn erst wieder sehen, als sie seine Totenmaske anfertigte.
    Endgültig zum Propheten des Volkes wurde Marat, als Ludwig XVI. am 21. Juni 1791 tatsächlich – wie vom Ami du Peuple seit zwei Jahren vorausgesagt – ins Ausland zu fliehen versuchte. Der König wurde gefangen und in den Tuilerien unter Hausarrest gestellt, und für Marat war klar: Louis Capet war ein Verräter und musste geköpft werden. Das laut auszusprechen, hatte vor ihm niemand gewagt. Marat aber schrieb es in der Zeitung, schwarz auf weiß. Anderthalb Jahre später, am Morgen des 21. Januar 1793, wurde seiner Forderung nachgekommen. Bei bissiger Kälte trennte die Guillotine dem König im Beisein tausender Schaulustiger um 10.20 Uhr den Kopf vom Leib.
    Es war der Beginn des Terrors, der großen Zeit des Tötens. Nach dem König tat dessen Gattin Marie Antoinette den Gang aufs Schafott, dann deren Tochter, die schwermütige und gottesfürchtige Prinzessin Elisabeth, die bei Marie Grosholtz Unterricht in der Kunst des Wachsfigurenformens genommen hatte – und jedes Mal war Marie zur Stelle, um von den geköpften Häuptern ein schaurig realistisches Abbild in Wachs zu formen. In späteren Jahren schwor sie, die Jakobiner hätten sie gezwungen, die Köpfe der Hingerichteten eigenhändig aus dem Weidenkorb am Schafott zu holen. Manchmal habe der Scharfrichter ihr die Häupter auch nach Hause in die Rue du Temple gebracht. Um diese Zeit war es auch, dass ein Jüngling namens François Tussaud an ihrer Seite auftauchte, der ihr als Mädchen für alles im Wachsfigurenkabinett zur Hand ging und den sie einige Jahre später heiraten sollte.
    Marat wurde im September 1792 ins Parlament

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