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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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gewählt, hatte nun wieder eine eigene Wohnung und heiratete sogar eine Zimmermannstochter namens Simone, aber er lebte weiter im Untergrund, trug ständig dieselbe Kleidung und den essiggetränkten Turban auf dem Kopf und war immer auf der Flucht vor den Mächtigen – vor den Königstreuen sowieso, aber auch vor den Revolutionären, den radikalen wie den gemäßigten. Gleich in der ersten Parlamentssitzung beschuldigten ihn die Girondisten, er plane mit Robespierre und Danton die Errichtung einer Diktatur. Der Vorwurf wog schwer und war nicht unberechtigt, das Plenum konnte die Todesstrafe beschließen. Marat hielt eine leidenschaftliche Verteidigungsrede, und als er außer Gefahr war, hielt er sich eine Pistole an den Kopf und schwor, dass er sich, falls er schuldig gesprochen worden wäre, auf der Stelle erschossen hätte.
    Von da an benahm er sich zum Fürchten. Er, der sich als kleiner Junge vorgenommen hatte, im Leben etwas Gutes und Schönes zu vollbringen, forderte nun, dass die Republik ein Kopfgeld für alle ins Ausland geflohenen Bourbonen aussetzte. Er verlangte, dass aller Besitz der katholischen Kirche an die Armen verteilt werde. Er beschimpfte die Girondisten als Intriganten und den Parlamentspräsidenten als Konterrevolutionär. Er rief zum Volksaufstand auf und warnte vor allen möglichen Verrätern, und mehrmals bezeichnete er sich selbst als den einzig echten Märtyrer der Freiheit.
    Aber Mitte Juni 1793, ein paar Wochen nach seinem fünfzigsten Geburtstag, war er mit seinen Kräften am Ende. Die Kopfschmerzen hatten sich zu rasender Migräne gesteigert, und auf seiner entzündeten Haut waren Geschwüre aufgebrochen, die ihm entsetzliche Schmerzen bereiteten. Er legte sein Amt als Parlamentarier nieder und blieb zu Hause in der Badewanne.
    Einen Monat lang verließ er kaum das Haus. Er schrieb Briefe oder Ansprachen, von denen er hoffte, dass Danton oder Robespierre sie an seiner Stelle im Parlament halten würden. Am Morgen des 13. Juli aber, als er im Bad seine alten Zeitungsartikel für einen Sammelband überarbeitete, sprach eine hübsche junge Aristokratin bei ihm vor. Charlotte de Corday war in der Klosterschule von Caen erzogen worden und schwärmte für Rousseaus Nouvelle Héloïse . Sie war eine begeisterte Revolutionärin gewesen, bis das große Töten begonnen hatte. Und da sie Jean-Paul Marat für den Hauptschuldigen hielt und beschlossen hatte, dem Blutvergießen ein Ende zu machen, stieß sie ihm nach kurzer Begrüßung mit aller Kraft einen Dolch unterhalb des rechten Schlüsselbeins in die Brust. Kaum war die Attentäterin verhaftet und Marat verblutet und tot, wurde Marie Grosholtz herbeigeführt, damit sie vom Volkshelden eine Totenmaske anfertigte; so erzählt sie es in ihren Memoiren. Sein Körper sei noch warm gewesen, und seine im Tod beinahe teuflischen Gesichtszüge hätten ihr den größten Schrecken eingejagt, weshalb sie die ihr aufgetragene Arbeit nur unter schmerzhaftesten Empfindungen habe verrichten können.

    Jean-Paul Marat wurde zwei Tage später in einer feierlichen Prozession im Pantheon beigesetzt, Charlotte de Corday tags darauf guillotiniert und in einem Massengrab verscharrt. Auch von ihr fertigte Marie Grosholtz eine Wachsfigur an, die zusammen mit jener Marats über Jahrzehnte zu den Prunkstücken ihrer Ausstellung zählte.

3 Regula Engel
    Im Frühjahr 1794, so erzählt Marie Grosholtz in ihren Memoiren, wäre auch sie um ein Haar geköpft worden. Ein Nachbar hatte sie beim Revolutionstribunal als Königstreue denunziert, worauf die Häscher sie nachts aus dem Bett holten und ins berüchtigte Gefängnis La Force in der Rue Saint-Antoine steckten. Das Gemäuer war feucht und rattenverseucht, zu essen gab es schimmliges Brot und dünne Suppe, von der man Bauchschmerzen bekam. Die Häftlinge schliefen auf nacktem Boden im Stroh. Einmal pro Woche erschienen die Wärter mit groben Scheren, um ihnen zur Vorbereitung auf die Guillotine das Nackenhaar zu schneiden.
    Unter den zwanzig Gefangenen befand sich eine schöne Frau, die auf Marie einen wahrhaft königlichen Eindruck machte. Sie war stets gut gelaunt und sprach den Ängstlichen Mut zu, tröstete die Verzweifelten und pflegte die Kranken: Sie hieß Joséphine de Beauharnais, war anderthalb Jahre jünger als Marie und die künftige Kaiserin der Franzosen. Glaubt man Madame Tussauds Erinnerungen, so schloss das Berner Dienstmädchen mit der schönen Aristokratin im Gefängnis Freundschaft fürs Leben.
    Aber

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