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Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer

Titel: Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Attika, gescheiterte französische Revolutionäre und lebensferne britische Dichter. Ihnen schloss sich Hans Jakob Meyer begeistert an. Er lernte marschieren, salutieren und schießen, und nach wenigen Wochen, am 2. Februar 1822, nahm er in offizieller Funktion als Chirurg der griechischen Armee an Bord der Aris unter dem Kommando des legendären Kapitäns Miaulis an der Seeschlacht von Patras teil.
    Offenbar war es ihm auch in Griechenland ein Leichtes, die Herzen der Menschen zu erobern. Schon im Frühling 1822, wenige Wochen nach seiner Ankunft, heiratete er ein einheimisches Mädchen aus der Familie der Inglezis, die den besten Kreisen Missolunghis angehörte. Den Schwiegereltern zuliebe konvertierte er zum griechisch-orthodoxen Glauben, und da der Schwiegervater als angesehener und erfolgreicher Kaufmann die Braut mit einer großzügigen Mitgift versah, bezog das junge Paar nach der Hochzeit ein schönes Haus und zeugte umgehend die erste von zwei Töchtern. Im Erdgeschoss richtete Hans Jakob die erste und beste Apotheke Missolunghis ein.
    Wie es scheint, lernte er rasch die griechische Sprache, führte sich in der guten Gesellschaft ein und packte überall mit an, wo Not am Mann war. Zweifellos war er dabei, als die Männer Missolunghis in Erwartung eines baldigen türkischen Angriffs an der Nordseite des Städtchens – der einzigen, die nicht von Sumpf oder Lagune umgeben war – einen Erdwall aufschütteten, der zwar nur mannshoch, aber zwei Kilometer lang war und sich in der Folge als äußerst effizient erweisen sollte.
    Kaum war der Wall fertig und hatte der Winterregen eingesetzt, marschierte im November 1822 eine türkische Streitmacht auf und begann die Stadt zu belagern. Es regnete ohne Unterlass. Die türkischen Kanonen versanken im Sumpf, und wenn sie aufs Städtchen schossen, schlugen die Kugeln im sumpfigen Boden ein und detonierten im Schlamm, ohne Schaden anzurichten. Die Zündkapseln der Gewehre wurden feucht. Die Soldaten trugen schwer an ihren schlammigen Stiefeln, und viele litten unter Fieber. Als der Wind auf Nord drehte, begann es zu schneien. Die Griechen konnten sich in ihre geheizten Steinhäuser zurückziehen und schliefen in warmen, trockenen Betten, die Türken aber hausten in Zelten, wurden krank und verloren den Mut.
    Um die Moral seiner Truppe zu heben, befahl Kommandant Omer Vrionis am 24. Dezember einen Überraschungsangriff in der Hoffnung, dass die Griechen am Geburtstagsfest ihres Gottessohnes weniger wachsam sein würden. Aber sein Plan wurde verraten, und er verlor mehrere hundert Soldaten beim vergeblichen Ansturm auf den Erdwall.
    Hans Jakob Meyer hatte in der Zwischenzeit nebst der Apotheke auch die Leitung des Lazaretts übernommen. Er operierte Schusswunden und nähte Schnittverletzungen, pflegte Fieberkranke und amputierte zerschmetterte Glieder – anscheinend mit derartigem Geschick, dass es niemandem einfiel, seine ärztliche Qualifikation in Zweifel zu ziehen. Gelegentlich hatte er auch kranke Landsleute als Patienten; aktenkundig ist etwa ein Philhellene namens Heinz Bruppacher aus Fluntern ob Zürich – demselben Bauerndorf also, dem auch die Soldatengattin Regula Engel entstammte -, der etwa zur gleichen Zeit wie Meyer nach Griechenland gereist war. Zu Hause in Fluntern hatte Bruppacher einiges Ansehen, denn sein Vater war Bauer und Seckelmeister des Dorfes. In Missolunghi aber verfiel er dem Wahnsinn und legte ein derart unmögliches Betragen an den Tag, dass man den Achtundzwanzigjährigen an einer Eisenkette im Stroh festband wie einen Hund, bis sich ein deutscher Arzt seiner erbarmte und ihn zu Meyer ins Lazarett brachte, wo er trotz liebevoller Pflege im August 1822 starb.
    Unbekannt ist hingegen, ob auch Regula Engels ägyptische Zwillinge in Missolunghi waren, von denen die Mutter gerüchteweise gehört hatte, sie seien nach dem Tod Napoleons in den griechischen Freiheitskampf gezogen. Falls dem so war, wären sie als kriegserprobte Soldaten unter den romantischen, aber meist unerfahrenen Philhellenen gewiss rasch aufgefallen. Wahr ist aber, dass die Zwillinge nirgends erwähnt werden – weder von Meyer noch von einem anderen jener zahlreichen Philhellenen, die ihre Kriegserinnerungen zu Papier gebracht haben.
    Die Scharmützel mit den türkischen Belagerern zogen sich bis zum Herbst 1823 hin. Der Erdwall hielt sämtlichen Angriffen stand; auf beiden Seiten gab es Hunderte von Toten und Tausende von Verletzten. Doktor Meyer hatte im Lazarett und in

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