Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
der Apotheke alle Hände voll zu tun, und zu Hause erwartete ihn seine Frau, die schon bald die zweite Tochter unter dem Herzen trug.
Große Erleichterung herrschte im Städtchen, als im Oktober 1823 die türkischen Belagerer abzogen, und Euphorie brach aus, als am 4. Januar 1824 Lord Byron, der größte Dichter seiner Zeit, nach Missolunghi kam, um Seite an Seite mit den Philhellenen zu kämpfen. Besonders die Soldaten, die seit Monaten keinen Sold mehr erhalten hatten, verbanden die schönsten materiellen Hoffnungen mit der Ankunft des schwerreichen Adligen, die sich in der Folge dann auch erfüllen sollten.
Wie ein Heilsbringer wurde Lord Byron samt seiner Geldbörse empfangen, als er im Hafen von Missolunghi mit Gefolge und seinem Neufundländer-Hund, der auf den Namen«Lion»hörte, an Land ging. Die philhellenischen Offiziere standen Spalier und boten ihm seine Dienste an, und der Dichter, der schon lang davon geträumt hatte, sich im männlichen Kampf zu bewähren, heuerte fünfhundert Krieger an und verpflichtete sich, ihnen für ein Jahr Sold zu bezahlen. Immer mehr Soldaten strömten ins Städtchen, bald trug jeder dritte Einwohner Uniform. Dumm war nur, dass während der Regenzeit an einen Eroberungszug in türkisch besetztes Gebiet nicht zu denken war. Also langweilten sich die Soldaten und krakeelten, schossen mit ihren Vorderladern in die Luft und piesakten die Bürger und deren Frauen. Als ein Kaufmann sich darüber beschwerte, dass Soldaten in seiner Abwesenheit sein Haus besetzt hatten, wurde er kurzerhand von einem Uniformierten auf offener Straße erschossen. Hans Jakob Meyer, der daneben stand, sagte später vor Gericht gegen den Täter aus, worauf dieser zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Einer von Byrons Gefolgsleuten hatte eine Druckerpresse mitgebracht, um in Missolunghi die erste Zeitung Griechenlands herauszugeben. Als Redakteur und einziger Reporter wurde Hans Jakob Meyer engagiert, da er Griechisch konnte und Land und Leute kannte. Die Ellinika Chronica erschien in griechischer Sprache zweimal wöchentlich und vertrat kämpferisch und freiheraus das Philhellenentum sowie Freiheit, Gleichheit und Demokratie. Das missfiel dem aristokratischen Lord Byron, der zur Ansicht neigte, dass dem unreifen griechischen Volk allzu viel Pressefreiheit eher schaden als nützen werde. Vor allem aber störte ihn die hemdsärmelig-republikanische Art des Chefredakteurs. Als Meyer in der Ausgabe vom 15. März 1824 einen heftigen Angriff gegen das habsburgische Kaiserhaus veröffentlichte, ging das Lord Byron, mit dessen Geld die Zeitung hauptsächlich finanziert wurde, zu weit: Er ließ das Blatt, das mit seinen nur vierzig Abonnenten die habsburgische Doppelmonarchie kaum ernsthaft gefährden konnte, beschlagnahmen und verlangte Meyers Entmachtung. Dieser sei ein «gebürtiger Schweizer und falscher Grieche»und«von allen kleinen Tyrannen einer der kleinsten», schrieb Byron einem befreundeten Geschäftsmann, weil er in der Zeitung nur seine eigene Meinung gelten lasse, an fremden Texten aber nach Belieben herumschneide, kratze und kürze. Zwar beeilte sich der Lord hinzuzufügen, er selbst habe nie für das Blättchen zur Feder gegriffen; die Heftigkeit seines Angriffs aber könnte doch den Verdacht nähren, dass in jenen frühen Ausgaben der Hellenischen Chronik das eine oder andere anonyme und unerkannte kleine Werk des unsterblichen Dichters steht, das vom«falschen Griechen»unverzeihlicherweise verstümmelt wurde.
Umgekehrt hegte Meyer ebenso wenig Sympathien für den dandyhaften Adligen, der sich eine sechsundfünfzig Mann starke Leibgarde hielt und dessen größter Kummer es war, dass er mit seinen sechsunddreißig Jahren nicht mehr so dichtes Kopfhaar hatte wie mit zwanzig. Der Konflikt wäre zweifellos zum offenen Streit eskaliert und hätte mit dem Sieg des finanzstarken Byron geendet, wenn dieser nicht just in jenen Tagen krank geworden wäre. Es begann mit einem nervösen Zusammenbruch, dann folgten Kopf- und Gliederschmerzen sowie regelmäßige Fieberschübe. Im März stemmte der Dichter sich noch gegen die Krankheit und ritt täglich mit seinem Pferd aus. Im April aber verließ er das Bett kaum mehr, wurde schwermütig und sprach vom Sterben.
Aus heutiger Sicht scheint klar, dass er sich in den Sümpfen Malaria zugezogen hatte. Seine vier Ärzte aber waren ratlos. Sie behandelten ihn mit Chinarinde aus Meyers Apotheke, traktierten ihn mit Klistieren und ließen ihn ein ums
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