Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
(…) Meine Augen schmerzen vom vielen Weinen.»
Die Augen der Mutter hätten noch viel mehr geschmerzt, wenn sie gewusst hätte, dass Adolf sich zu jenem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Alexandria aufhielt, sondern unterwegs war in den Süden Ägyptens, nach Nubien und dem Sudan, wo er mit Elfenbein, Gold, Gummi und Straußenfedern Geschäfte zu machen hoffte. Zehn Wochen lang segelte er bequem auf dem Nil südwärts ins Innere des dunklen Erdteils, ab Dongola dann zu Fuß zwei Wochen in entsetzlicher Hitze und Trockenheit durch die Nubische Wüste mit einer Karawane, die unterwegs die Hälfte ihrer Kamele verlor. Es muss Ende 1866 oder Anfang 1867 gewesen sein, als er in Khartum eintraf, das wenige Jahre zuvor noch ein verschlafenes sudanesisches Fischerdorf am Zusammenfluss des Weißen und des Blauen Nil gewesen war; seit aber ägyptisch-türkische Truppen den Sudan besetzt hielten, war der Ort zu einem Meer von einstöckigen Lehmbauten und einem Gewimmel staubiger Straßen ohne Kanalisation und Abfallbeseitigung angewachsen, in dem fünfzigtausend Menschen ein Auskommen suchten; entlaufene Sklaven aus Abessinien und arabische Sklavenhändler, griechische Geldverleiher und französische Kaufleute, österreichische Missionare und deutsche Konsule, neapolitanische Messerschmiede und venezianische Zuckerbäcker – alle waren in der Hoffnung auf raschen Reichtum hergekommen. Manche überlebten das mörderische Klima, wurden tatsächlich reich und fuhren heim, um die Früchte ihrer Entbehrungen im milden Europa zu genießen. Die meisten aber starben nach wenigen Wochen oder Monaten. Manche stürzten vom Pferd oder wurden totgeschlagen wegen des Kleingelds, das in ihren Taschen klimperte; andere verendeten schweißgebadet in einer wanzenverseuchten Lehmhütte an Cholera, Pest, Malaria, Diphtherie, Gelbfieber oder einfach an der Hitze, und zwar meist allein, ohne Trost und ohne den Beistand eines Arztes, Freundes oder Priesters.
Auch Adolf Haggenmacher war allein, schwerkrank und erschöpft, als er in Khartum eintraf, und mit Sicherheit waren die fünfundsiebzig Franken längst aufgebraucht; unter anderem litt er an der«Nilkrätze von der großen Hitze», dass es ihn juckte,«wie wenn ich von 1000 Nadeln gestochen wäre». Zu seinem Glück nahm ihn der deutsche Vizekonsul Duisberg auf und ließ ihn pflegen. Wieder genesen, machte er die Bekanntschaft des venezianischen Abenteurers Carlo Teofilo Contarini, der seit vielen Jahren in Khartum in einem weitläufigen Lehmhaus lebte, mehrere Schiffe auf dem Nil besaß und allerlei Geschäfte tätigte. Contarini betitelte sich als Capitano und behauptete, in direkter Linie von den venezianischen Dogen gleichen Namens abzustammen, war aber als schlichter Dolmetscher eines belgischen Diplomaten ins Land gekommen. Auf dem Sklavenmarkt hatte er sudanesische und abessinische Mädchen gekauft und einige auch geheiratet; diese hatten ihm ziemlich viele Kinder geschenkt, welche sich zum Teil schon im heiratsfähigen Alter befanden. Eines von ihnen hieß Maria – ein hochgewachsenes Mädchen von siebzehn Jahren, feingliederig und mit sanftem Blick, das ausgezeichnet Arabisch, Italienisch und Französisch sprach. Adolf heiratete sie am 1. September 1867. Die Liebe muss groß gewesen sein. Im folgenden Jahr kam Sohn Eduard zur Welt.
Zu Hause in Aarau stieß die Nachricht von der Vermählung auf ein zwiespältiges Echo. Adolfs schlichte und gottesfürchtige Mutter konnte sich kaum damit abfinden, dass ihr Erstgeborener eine«Halbnegerin»geheiratet hatte; der weit gereiste Vater hingegen fand,«es sei besser gesorgt für ihn; das sei nicht so schrecklich».
Adolf lernte rasch Arabisch und unternahm mit Missionaren einige Reisen ins Umland, wurde aber im Sudan nie richtig froh; erstens blieb der geschäftliche Erfolg aus, zweitens litt er ununterbrochen an Fieber und Verdauungsbeschwerden.«Von allem entblößt, und da zugleich große Trockenheit, Viehseuche, Hungersnot und Teuerung den ägyptischen Sudan heimsuchten, beschloss er, mit seiner Familie in die Heimat, nach der Schweiz zurückzukehren», schreibt sein Biograph Johann Keller-Zschokke. Das mag so gewesen sein; aus einem Brief seiner Mutter geht allerdings hervor, dass Haggenmacher nach Indien übersetzen wollte, um dort sein Glück zu versuchen. Der Vater wiederum riet ihm, in die ägyptischen Provinzen am Roten Meer zu fahren und sich dort einem Schweizer namens Werner Munzinger anzuschließen, der als Afrikaforscher zu
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