Himmelsstürmer - Capus, A: Himmelsstürmer
teuer, die Restaurants ebenfalls, die Pferdeknechte wollten bezahlt sein. Noch war Isabelle Europäerin und hatte nicht gelernt, von Datteln und Hirse zu leben und sich irgendwo im Staub schlafen zu legen. Im März 1898 ging ihr das Geld aus, sie musste heimkehren nach Genf.
Dort aber fand sie sich nicht mehr zurecht. Die nüchterne Calvin-Stadt war grau, abweisend und leblos, die Ankunft im Elternhaus wie die Rückkehr ins Gefängnis. Kam hinzu, dass Trofimovski an Kehlkopfkrebs erkrankt war und unter dem Einfluss starker Schmerzmittel fürchterliche Wahnvorstellungen hatte. Am Abend des 14. Mai 1899 rief er nach Chloral, und Isabelle und ihr Bruder Augustin, der inzwischen aus der Fremdenlegion heimgekehrt war, bereiteten ihm den Trank. Wahrscheinlich war die Dosierung zu stark, am nächsten Morgen war Vava tot. Jahre später mutmaßten Journalisten, die Geschwister hätten dem Leidenden absichtlich zum Tod verholfen.
Isabelle wollte so rasch wie möglich zurückkehren in die Wüste, aber ohne Geld ging das nicht. Da sie als uneheliche Tochter nicht erbberechtigt war, stand sie mit zweiundzwanzig Jahren erstmals vor der Herausfoderung, selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen zu müssen. Sie entsann sich ihrer literarischen Kontakte und fuhr nach Paris, um Rat bei der russischen Reiseschriftstellerin Lydia Paschkoff einzuholen, die im Frühling 1890 in Kairo dem Charme des Ballonfahrers Spelterini verfallen und möglicherweise mit ihm über die Pyramiden von Gizeh geflogen war.«Um zu leben, wie wir beide es wünschen», ließ die Ältere die Jüngere wissen,«benötigt man ein Einkommen von 50 000 Francs.»Weiter gab sie ihr den Rat, in Paris stets im Araberkostüm aufzutreten und sich mit den Herren der Académie Française gut zu stellen, ohne aber auf deren galante Avancen einzugehen. Und keinesfalls dürfe sie es sich mit den einflussreichen Juden verderben.
Für solche diplomatischen Pirouetten war Isabelle nicht geeignet. Sie trat in Paris hölzern und ungelenk auf, und die Reise wäre ganz unnütz gewesen, wenn sie nicht die Witwe des Entdeckungsreisenden Marquis de Morès kennengelernt hätte, der drei Jahre zuvor auf mysteriöse Weise in der Sahara ums Leben gekommen war. Sie beauftragte Isabelle, nach Spuren des Marquis oder seiner Mörder zu suchen, und gab ihr tausendfünfhundert Francs Reisegeld.
Im Juli 1900 war sie zurück in Algerien. Wiederum kaufte sie ein Pferd und ritt als Si Mahmoud Saadi hinaus in die Wüste. Mal schloss sie sich einem osmanischen Steuereintreiber an, dann einer Kompanie Fremdenlegionäre, und oft war sie allein unterwegs; manchmal, wenn der Weg von einer Oase zur nächsten zu lang war, reiste sie im Schutz einer Kamelkarawane. Sie folgte den Nomadenstämmen des Südens bis zur gänzlichen Erschöpfung, verbrachte einsam ganze Tage reglos in Betrachtung der Großen Wüste, schlief in Karawansereien auf schmutzigen Lehmböden, schlug sich mit Fremdenlegionären die Nächte im Bordell um die Ohren. Und als Schriftstellerin gelangen ihr, die in Europa nicht frei war von naiver Selbstgefälligkeit, Naturbeschreibungen von ergreifend schlichter Schönheit. Um den Auftrag ihrer Geldgeberin kümmerte sie sich kaum.
In der Oase El Oued machte sie die Bekanntschaft des Quartiermeisters der französischen Garnison, eines gut aussehenden, weichlichen, nachgiebigen Algeriers namens Slimène Ehnni, der ausgezeichnet Französisch sprach, die französische Staatsbürgerschaft erlangt hatte und der beste Liebhaber war, dem Isabelle je begegnet war. Sie schrieben einander Briefe, in denen vom Heiraten die Rede war und davon, dass man für den Lebensunterhalt eine kleine Epicerie oder ein Café in dieser oder jener Oase eröffnen würde. Aber da Slimènes Sold kaum zum Überleben reichte und die unzufriedene Marquise ihre Zahlungen an Isabelle einstellte, fehlte selbst für diesen bescheidenen Traum das Geld. Bald war Isabelle wieder in der Wüste unterwegs. Allein.
Für Slimène war Isabelle – oder Si Mahmoud – gleichzeitig Mann, Frau und Jüngling – ein Traumbild, das in der orientalischen Literatur oft wiederkehrt. Im Alltag aber machte es ihm zu schaffen, dass sie mit jedem Mann schlief, der ihr gefiel.«Ja, es ist so, ich bin vor Gott und vor dem Islam Deine Frau», erklärte sie ihm in einem Brief.«Aber ich bin nicht eine gewöhnliche Fatima oder Aischa. Ich bin auch Dein Bruder Mahmoud, ein Diener Gottes und Abd al-Qadir al-Dschilanis, und nicht einfach die Dienerin
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