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Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)

Titel: Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Baumgartner
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Kernarbeitszeiten waren und wie sich die Menschen anzogen, die in das Gebäude hineinkamen. Es galt, mit der Masse zu schwimmen.
    In der Früh um acht strömten Tausende von Menschen in die zwei Türme. So viele, dass die Securitymitarbeiter unmöglich jeden kontrollieren konnten. Meine Vermutung war, dass es ein Raster gab und nur diejenigen kontrolliert wurden, die auffielen, sei es durch ihre Kleidung oder ihr Auftreten. Die Security würden darauf geschult sein, Leute anzusprechen, die nervös in die Gegend schauten oder anders aussahen als ein gewöhnlicher Büroangestellter. Also wählte ich eine Tarnung, die sich bereits bei meinem ersten Gebäudesprung zwei Jahre zuvor vom Swissôtel in Chicago bewährt hatte: Businessanzug und Aktenkoffer. Der kam ganz gelegen, schließlich musste ich ja meinen Fallschirm und eine kleine Videokamera bei mir tragen, mit der ich den Sprung von oben dokumentieren wollte. Einen Kameramann mit nach oben zu nehmen kam nicht infrage. Zu zweit fällt man eher auf, außerdem war die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Kameramann nach meinem Sprung vom Fleck weg verhaftet und seine Kamera mit den wertvollen Bildern beschlagnahmt werden würde.
    Die nächste Baustelle neben der Kleidung: der Sicherheitsausweis, den alle, die in das Gebäude gingen, an einer Kette um den Hals trugen. Damals gab es zum Glück noch keine Augen- oder Fingerscans. Was ich brauchte, war ein Foto von einem dieser Ausweise, um ihn zu Hause nachbilden zu können. Ich besorgte mir eine kleine Fotokamera, bei der man den Auslöser nicht hört, sprach vor dem Gebäude einen Angestellten an, streckte ihm den Apparat entgegen und fragte, ob er ein Foto von meinem Freund und mir machen könne. Und während ich ihm dabei die Kamera vor die Brust hielt, drückte ich unauffällig auf den Auslöser – und hatte so die Vorlage für meinen Ausweis. Ich bastelte ihn mir mit Photoshop zurecht, laminierte das Ding und hängte es an eine dieser klassischen Gliederketten aus billigem Aluminium.
    Während meiner Recherchen hatte ich gesehen, dass das Gebäude ständig gesäubert wurde. In der Früh wurde von einem Kran an seiner Spitze ein Korb mit vier Fensterputzern an der Fassade aus Glas und poliertem Stahl runtergelassen. Dieser riesige Fensterputzerkran war für mich der einzig mögliche Absprungort, da das Gebäude stufenförmig gebaut ist und sich nach unten hin verbreitert. Kurz überlegte ich sogar, bei der Fensterputzerfirma anzuheuern. Aber ein österreichischer Fensterputzer? Da hätte es Fragen gegeben: Was hat der denn ausgefressen, dass er in Kuala Lumpur Fenster putzen muss? Diese Idee schied also aus. Meinen Foto- und Videojungs sagte ich: »Wenn ihr mich auf diesen Kran rausklettern seht, dann wisst ihr Bescheid. Dann geht es gleich los. Wir haben zwar Funkverbindung, aber ich kann nicht garantieren, dass die funktioniert. Und richtet eure Kamera nicht zu früh auf mich aus. Eine Kamera, die irgendwo hinzeigt, erzeugt immer Aufsehen.«
    Und dann marschierte ich also los Richtung Eingang, morgens um acht zur heftigsten Rushhour, in meinem Anzug, mit meinem Aktenkoffer in der Hand, einer Zeitung unter dem Arm und dem gefälschten Ausweis um den Hals. Zudem trug ich noch eine Baseballkappe mit dem Logo der Firma Sauber, da ich herausgefunden hatte, dass sie Büros im Gebäude gemietet hatte. Ich dachte, es könne nicht schaden, wenn mich die Security für einen Mitarbeiter hielt, der sich überdurchschnittlich mit seinem Arbeitgeber identifizierte.
    Schon beim Betreten des Gebäudes wurde ich leicht paranoid. Jeder schien mich anzuschauen und zu wissen, was ich vorhatte. Genauso muss sich ein Bankräuber fühlen, der bei einem Überfall die Schalterhalle betritt. Dennoch versuchte ich, so unauffällig wie möglich zu schauen. Wer morgens ins Büro geht, blickt sich nicht nervös um, sondern geht zielstrebig zum Aufzug, fährt in den gleichen Stock wie jeden Morgen, steigt aus und geht zu seinem Schreibtisch. Ich bemühte mich also, nicht den Kopf zu bewegen, sondern nur die Augen, und stand kurz darauf vor fünf oder sechs verschiedenen Liften. Einige fuhren in den 20. Stock, andere in den 40. Da ich ja ganz nach oben wollte, nahm ich so zielstrebig wie möglich den, der am höchsten fuhr. Unterwegs musste ich umsteigen – die nächste potenzielle Fehlerquelle, weil ich auffallen würde, wenn ich nicht auf Anhieb den nächsten Aufzug ansteuerte. Ganz oben, sobald die Tür aufging, würde der große Moment

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