Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
rum. Ich weiß nicht mehr, wo ich hingefahren bin, weiß nur noch, dass ich Bruce Springsteen gehört und nichts mehr wahrgenommen habe. Vor drei Wochen war ich noch am Boden, mein Team saß an der anderen Seite des Tischs, ich habe mit meinem imaginären Sohn gesprochen, all diese Tests gemacht, fünf Stunden in dieser elenden Kapsel verbracht, und das dreimal, ich habe trainiert, mich gut ernährt, alles getan, was nötig war, komme nach Hause und sage: »Okay, ich bin so weit!« Und dann heißt es: »Mach dir einen schönen Winter!« Das zieht mir komplett den Boden unter den Füßen weg. Das kann einfach nicht sein. Und die Aussichten: zwischen einem und fünf Jahren. Was mache ich so lange? Ein Jahr Skiurlaub? Ich habe etwas Unvollendetes im Kopf, das ich vollenden will. Die Zeit arbeitet nicht für uns. Die Kameratechnik entwickelt sich weiter, Joe Kittinger ist schon über 80. Da sind so viele Dinge, die am seidenen Faden hängen. Ein Jahr Pause würde noch gehen, ein Jahr ist übersichtlich. Aber fünf Jahre? Das können wir vergessen.
Mit einem Schlag ist auch Richie arbeitslos, und ich kann ihm nicht sagen, für wie lange. Die Situation ist kritisch. Aber dann ist es doch erstaunlich, wie schnell ich wieder motiviert bin. Am nächsten Tag wache ich auf und denke mir: Ich kann es noch gar nicht glauben, dass mir das gestern passiert ist. Aber okay, ein Jahr. Positiv denken! Das Glas ist halb voll, nicht halb leer. Und bei dem Glück im Leben, das ich immer gehabt habe, dauert das sicher nicht länger. Nie und nimmer dauert das fünf Jahre! Wir sind im Recht und haben die besten Rechtsanwälte der Welt. Gehen wir mal von einem Jahr Pause aus. Dann bin ich immer noch der Gleiche, vom Kopf her bin ich stark. Joe hat ein Herz wie ein Zwanzigjähriger. Das mit der Kameratechnik wird schon hinhauen. Und ich treibe in dem Pausenjahr meine Ausbildung zum Hubschrauberpiloten voran.
So hatte ich schon am Tag eins nach dem Schock wieder ein neues Ziel. Rund zehn Monate später saß ich auf dem Weg zur Basler Uhrenmesse im Taxi, als Christopher anrief: »Wir haben das Rechtsthema gelöst. Grünes Licht: Es geht weiter!« Ich fuhr so durch Basel und dachte mir: Ja, ich habe es immer gewusst, das ist meine Geschichte! Ich habe nicht diesen Tiefpunkt überwunden, damit wir dann die ganze Sache begraben. Ich habe bisher alles in meinem Leben zu Ende geführt. Ein Rechtsstreit mit einem wild gewordenen Amerikaner, der glaubt, die Rechte an einem Projekt zu haben, das in den vergangenen Jahrzehnten zahllose Rekordjäger in Angriff genommen haben? Natürlich hatte der keine Chance. Wir waren wieder im Geschäft, wir aktivierten die ganzen Strukturen in Lancaster, riefen die Jungs wieder auf den Plan, orientierten uns neu, begannen mit dem spezifischen Training und stiegen praktisch auf demselben Stand ein, auf dem wir aufgehört hatten.
Bittere Pillen und eine Entmachtung
Nun also Brooks. Der große Test, vor dem ich einst mitten in der Nacht geflüchtet war. Drei Wochen lang haben wir nach meiner Rückkehr nach Lancaster dafür trainiert, drei anstrengende Fünf-Stunden-Tests und einen Blind-Cockpit-Check absolviert, bei dem ich blind alle Knöpfe bedienen musste, falls in der Kapsel das Visier meines Helmes anlaufen sollte. Unzählige Tests, die von unseren Wissenschaftlern bestätigt werden mussten, damit wir sagen konnten: »Okay, der Felix kann’s. Jetzt können wir guten Gewissens nach Brooks gehen.« In Brooks sind wir zum ersten Mal nicht mehr in unserem eigenen Biotop, sondern quasi in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit: bei den Profis von der Air Force und der NASA , den Hohepriestern in Sachen Raumfahrt. Die schauen uns ganz genau auf die Finger und werden dann hoffentlich sagen: » Well done , Hausaufgaben gemacht, gute Sache. Wir haben Vertrauen in euch und sehen, dass es in die richtige Richtung geht.« Mein Horrorszenario ist der gesenkte Daumen. Wenn die Profis sagen: »Abbrechen! Das könnt ihr vergessen!«, ist das Projekt Stratos mausetot. Diese Cracks werden sofort einschätzen können, wie gut wir sind. Und ob wir gut genug sind, um weiter von ihnen gefördert zu werden.
Bisher hatten wir den Eindruck, dass die NASA das, was wir treiben, mit einem gewissen Argwohn betrachtet. Dieser Brausehersteller aus Österreich, der plötzlich ins Weltall will, wo sich, wie jeder weiß, nur die NASA wirklich auskennt. Die Air Force hingegen war unser Partner, hat uns ihre Einrichtungen wie etwa die Basis in
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