Himmelssturz
hinaus. Die Triebwerkssektion schien von hier aus gesehen in unvorstellbarer Tiefe zu liegen – viel tiefer, als es den Anschein gehabt hatte, während sich das Schiff im freien Fall befand. Perry sicherte ein Ende der Leine an einer Strebe und das andere am Gürtel von Svetlanas Anzug. Sie benutzte die Leiter, die parallel zur Führungsschiene verlief, um an den Streben hinunterzuklettern. Anfangs jagte jeder Schritt ihr stechende Schmerzen durch die Brust, doch nach einer Weile hatte sie eine Methode gefunden, wie sie sich bewegen konnte, ohne die gebrochene Rippe allzu sehr zu belasten.
Bei einhundert Metern hielt Svetlana an, sicherte sich an der nächsten Strebe und wartete, bis Parry heruntergestiegen war. Dann wartete Parry, während Svetlana weitere hundert Meter vorrückte. Auf halber Strecke des Rückgrats war ein Team damit beschäftigt, die Wagenschiene mit Hilfe von Robotern und flackernden Schneidwerkzeugen zu reparieren. Svetlana erwartete, dass sie mit einer gewissen Neugier reagierten, während Parry und sie an ihnen vorbeistiegen, aber sie nahmen ihre Anwesenheit nur mit knappen Gesten zur Kenntnis, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmeten.
Parry und Svetlana setzten den Abstieg fort, bis sie auf Höhe der Tanks waren, dann an der Stelle vorbeikamen, wo Takahashi gestorben war, und schließlich die schwere Luftschleuse zum Schwitzkasten erreichten.
Im Arbeitsbereich herrschte normaler Atmosphärendruck, sodass sie drinnen die Versiegelungen ihrer Helme öffnen und die Scheiben hochklappen konnten. Ihr Atem bildete weiße Wölkchen. Niemand hatte den Schwitzkasten seit dem Unfall mit dem Massentreiber besucht, und die Lebenserhaltungssysteme hatten darauf mit einer Abkühlung des Raumes reagiert.
Die gekrümmten grünen Wände waren mit Bildschirmen, Tastaturen, teleskopartigen Sichtvorrichtungen und dunklen Bullaugen übersät. Ausgedruckte Blätter in Plastikhüllen und mit Anmerkungen und Korrekturen in Magic Marker klebten von Geckoflex gehalten an den Wänden. Es gab Sicherheitshinweise und böse Cartoons, zum Beispiel die Zeichnung eines nervösen Wissenschaftlers, der an einer Atombombe arbeitete, während sich ein Kollege von hinten anschlich und eine aufgeblasene Papiertüte hochhielt, die er gleich zerplatzen lassen wollte.
Svetlana riss das Blatt von der Wand, knüllte es zusammen und steckte es sich in die Tasche. Für diese Art von Humor hatte sie im Moment nichts übrig.
»Hier können wir reden«, sagte sie. »Ich habe die Webcam-Übertragung ins übrige Schiff ausgeschaltet.«
»Ist das nicht etwas dreist?«
»Ganz und gar nicht. Wir haben durch den Unfall Bandbreite verloren. Der Treiber hat einige Glasfaserleitungen durchtrennt, die am Rückgrat entlanglaufen. Ich sorge nur dafür, dass wir die noch vorhandene Kapazität auf die effizienteste Weise nutzen.«
»Ich bezweifle, dass die Bandbreite nennenswert durch die Webcam beeinträchtigt wird«, sagte Parry. »Was nicht heißt, dass ich kleinlich sein will.«
»Sehr rücksichtsvoll von dir.« Svetlana zerrte ihren Flextop aus der Tasche unter ihrem Brusttornister. »Willst du hier warten und mir auf die Finger schauen, oder kannst du dich in der nächsten halben Stunde irgendwie selbst beschäftigen?«
»Womit zum Beispiel?«
»Keine Ahnung. Howling Wolf hören. Zusehen, wie die Sterne vorbeiziehen oder etwas in der Art.«
»Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich und schaue dir zu.«
»Ich werde mich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Du hast dich bereits in Schwierigkeiten gebracht«, sagte Parry. »Und mich auch, wenn Bella jemals herausfindet, dass ich Ashs Unterschrift auf dem Formular für die Anzugzuteilung gefälscht habe.«
»Ash ist mir noch einen Gefallen schuldig«, sagte Svetlana. »Wenn er seine Schicht antritt, werde ich ihn daran erinnern, dass ich nach dem kleinen Blackout am Kometen keine Beschwerde ins Logbuch eingegeben habe. Mal sehen, ob er dann immer noch wegen einer gefälschten Unterschrift Ärger machen will.«
»Du könntest Machiavelli Nachhilfestunden im Intrigieren geben«, sagte Parry.
»Habe ich schon gemacht. Aber dann musste er die Segel streichen.«
Svetlana schraubte ihre Anzughandschuhe ab und hängte sie an den Gürtel, damit sie den Flextop mit den Händen bedienen konnte. Das Helmdisplay würde Alarm schlagen, wenn sie versuchte, durch die Luftschleuse auszusteigen, ohne sie wieder anzulegen. Sie aktivierte den Schirm und rief die umfangreichen technischen Dateien
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