Himmelssucher - Roman
wartete.
»Was ich sagen will … Es tut mir leid, was passiert ist. Ich habe nicht verstanden, was ich da getan habe … und kann gar nicht glauben, dass ich all diese Sachen gesagt habe.«
Nathan sah mir in die Augen, dann nickte er, rutschte auf dem Stuhl herum und räusperte sich. »Weißt du … ich habe immer gewusst, dass du mir das mal sagen würdest. Irgendwann. Ich habe es immer gewusst … Danke.«
Es folgte ein langes Schweigen. Ich wollte bereits fortfahren – ihm von dem Telegramm erzählen –, als er mich nach meinen Eltern fragte.
»Meinem Dad geht es nicht besonders gut. Er hat es nie verwunden, dass er jetzt in einer Privatpraxis arbeitet. Er trinkt viel. Mehr als er sollte. Auch wenn er es nicht zugibt … Meine Mom leidet, nicht unbedingt still und leise, wie du dir vorstellen kannst.«
»Sie hat mit ihm alle Hände voll zu tun«, sagte er lächelnd. »Naveed ist ein Sturkopf.«
»Ja.«
»Aber ein guter Mensch. Ich bin ihm einen Anruf schuldig.«
»Ihr habt noch Kontakt?«
»Von Zeit zu Zeit.«
»Ein Anruf würde ihn wahrscheinlich freuen. Er spricht immer noch von dir …«
»Ja?« Ehrliche Freude schwang in seiner Stimme mit. »Was sagt er?«
»Ach … er erinnert sich an die guten Zeiten im Labor mit dir. Er lacht immer noch darüber, dass du keine Witze erzählen konntest … oder kein scharfes Essen vertragen hast.«
»Na, das hat sich geändert. Zumindest was scharfes Essen anbelangt. Er hat mich auf den Geschmack gebracht. Er … und Mina natürlich.«
»Sie ist gestorben«, sagte ich.
Nathan zeigte sich nicht überrascht. Er nickte nur.
Es folgte ein weiteres langes Schweigen.
Schließlich sagte er: »Du solltest etwas wissen, Hayat. Damit geht es dir vielleicht etwas besser.«
»Was?«
»Mina und ich hatten noch Kontakt.«
Ich war geschockt. »Wirklich?«
Nathan nickte. »Ein Jahr, nachdem das zwischen uns passiert war, bekam ich einen Brief von ihr. Er wurde an die Adresse meine Eltern geschickt. Die hatte sie noch von einem Brief, den ich ihr damals von dort geschrieben habe.« Er lächelte still in sich hinein. »Dieser Brief von ihr war wahrscheinlich die größte Überraschung in meinem Leben.«
»Was hat sie geschrieben, wenn ich fragen darf?«
»Im Grunde ihre Sicht auf die damaligen Ereignisse. Ihre Erklärung. Ich meine, im Grunde wollte sie mir wohl zu verstehen geben, dass sie ihre Entscheidung bedauert … aber das wollte sie nicht offen aussprechen … Auch wenn sie es später dann doch getan hat.«
»Das hat sie getan«, sagte ich. Es war als Frage gemeint, kam aber nicht als solche heraus. Und die Erleichterung, die unüberhörbar in meiner Antwort mitschwang, war für Nathan ebenso eine Überraschung wie für mich.
Er sah mich lange an und nickte. »Der Mann, den sie geheiratet hat, war verrückt«, sagte er voller Zorn.
»Er ist krank geworden, weißt du das?«
»Nein, das weiß ich nicht. Was ist passiert?«
»Etwas mit seiner Lunge. Er bekommt nicht genug Luft. Er muss immer eine Sauerstoffflasche bei sich haben. Es ist bald nach Minas Tod passiert. Imran kümmert sich um ihn.«
»Wie geht es Imran?«
»Gut. Ich habe ihn vor ein paar Jahren gesehen. Damals lag seine Mom im Sterben, er war also nicht besonders gesprächig. Aber ich glaube, es geht ihm ganz gut. Er ist an der High School. Er und seine Schwester gehen beide auf eine islamische Schule in Kansas City. Das Mädchen sieht genauso aus wie ihre Mutter. Sie heißt Nasreen.«
Ich hielt inne.
Nathan schüttelte den Kopf. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich ihr gesagt habe, sie soll ihn verlassen, Hayat.«
»Warum hat sie es nicht getan?«
Nathan zuckte mit den Schultern. »Du verstehst das vielleicht besser als ich. Es muss etwas mit der Kultur zu tun haben … Ich glaube, sie wusste ganz genau, dass sie zu mir zurückgekommen wäre, wenn sie ihn verlassen hätte. Und sie wusste, dass sie bei mir immer willkommen war …« Er hielt inne. »Ich bin über deine Tante nie hinweggekommen. Sie war und wird immer die Liebe meines Lebens sein.«
Nathan sah mich lange an, bevor er den Blick abwandte. Plötzlich fühlte ich mich ihm sehr nah. Am liebsten hätte ich ihm erzählt, dass meine Freundin Rachel Jüdin war. Aber ich tat es nicht. Er schien in seinen Erinnerungen zu schwelgen. Ich wollte ihn nicht stören.
Er räusperte sich wieder. »Wir haben einfach Glück gehabt. Die Briefträgerin war eine Schwarze, sie hieß Sheniqua. Irgendwie freundete sich deine Tante mit ihr
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