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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sie vor Zorn. »So, Hayat, das hat also nichts mit der Kirche zu tun, was? Und warum sind dann überall Priester und Nonnen? Die alle Eis essen, als wäre es ihr heiliges Brot. Und das alles vor dem Kreuz mit dem leidenden Jesus dran. Was denken die sich nur?«
    Das war es dann. Ich würde nie auf das Eiscreme-Fest kommen.
    Daher saß ich am letzten Donnerstagnachmittag der fünften Klasse im Wohnzimmer, trug noch die Sachen, die ich am Morgen in der Schule anhatte, und starrte Trübsal blasend zu Mina. Irgendwann sah sie auf.
    »Hayat?«
    »Hallo, Tante.«
    »Hallo, Behta . Was ist los?«
    »Nichts.«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Komm her, mein Lieber.«
    Ich hievte mich hoch und trottete hinüber zum Esstisch.
    »Was ist los?«, fragte sie erneut.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wenn ich ihr von dem Fest erzählte, würde es nichts daran ändern. Wozu also?
    »Du bist doch nicht krank, oder?«, fragte Mina und legte mir die Hand auf die Stirn.
    »Nein«, sagte ich und bemerkte ihr Buch. Wendekreis des Krebses . Der Umschlag zeigte einen großen, grauen, bedrohlich wirkenden Krebs. Warum liest sie über Krebs? »Du bist doch kein Doktor, oder, Tante?«, fragte ich.
    In diesem Augenblick erschien Mutter in der Tür, die zum Flur und zur Treppe dahinter führte. »Was ist los? Hmm? Er quengelt doch nicht schon wieder wegen diesem gottverdammten Eiscreme-Fest, oder?«
    »Gottverdammten Eiscreme-was?«, fragte Mina.
    »Eiscreme- Fest. So eine christliche Albernheit.«
    »Es ist nicht christlich«, warf ich ein.
    »Ich sagte Nein!«, blaffte Mutter.
    »Was ist das Eiscreme-Fest?«, fragte Mina.
    »Sie verkaufen Eis, um Geld für die Kirche zu sammeln«, spottete Mutter.
    »Das stimmt nicht. Es kostet nichts«, sagte ich.
    Mutter warf mir einen warnenden Blick zu. »Nichts in diesem Land ist kostenlos . Das Schild vor der Kirche sagt, die Einnahmen kommen der Gemeinde zugute. Einnahmen wovon? Vom kostenlosen Eis?«Sie lachte höhnisch. »Wir haben es nicht nötig, den Christen Geld zu geben.«
    Meiner Meinung nach gaben wir den Christen jeden Tag Geld. In der Mall, im Lebensmittelladen, auf der Post. Was war hier so anders?
    Ich wollte bereits zu einer Erwiderung ansetzen, als Mutter mir ihren erhobenen Zeigefinger entgegenreckte. »Hayat, ich will von diesem verdammten Fest kein Wort mehr hören.«
    Damit drehte sie sich um und ging hinaus.
    Nachdem sie fort war, nahm Mina meine Hand. »Du willst da unbedingt hin, oder?«
    Ich nickte. Bei ihren Worten musste ich schlucken.
    »Hayat, lass es heraus.«
    »Was herauslassen?«, fragte ich mit einem Kloß im Hals.
    »Das, was du fühlst. Wenn du es drinbehältst, bleibt es dort. Du musst es herauslassen, das ist die einzige Möglichkeit, um es loszuwerden.«
    Ich wusste nicht, was sie meinte. Mina beugte sich zu mir, hielt mich an den Schultern fest und sah mich eindringlich an. »Lass es zu, dass es wehtut, Hayat. Wehr dich nicht dagegen.«
    »Es soll wehtun?«
    »Wehr dich nicht gegen deinen Schmerz. Lass ihn einfach zu. Lass ihn da. Öffne dich ihm, öffne dein Inneres für ihn …«
    »Okay«, sagte ich und erwiderte ihren Blick.
    Ich spürte den Schmerz in meinem Herzen. Ich wehrte mich nicht mehr dagegen. Nahezu im gleichen Moment zerbrach etwas in mir. Mein Hals schwoll an, mein Gesicht zog sich zusammen. Tränen schossen mir in die Augen.
    Mina nahm mich in den Arm und hielt mich fest. Ich ließ los und weinte in ihre Schulter, und der Trost, den ich in ihrer Umarmung fand, war mit nichts vergleichbar, was ich bis dahin erlebt hatte.
    Als die Tränen versiegten, wischte sie mir mit dem Ärmel das Gesicht trocken.
    »Besser?«
    Ich nickte. Es ging mir besser.
    »Wenn du es drinbehältst, bleibt es drin. Und dann kann alles mögliche Schlimme passieren.«
    »Was?«
    »Das Schlimmste, was passieren kann? Wenn du zu lange an deinem Schmerz festhältst, meinst du irgendwann, du wärst dieser Schmerz.« Mina musterte mich. »Verstehst du, Behta ?«
    Ich nickte. Was sie sagte, klang für mich einleuchtend.
    »Und wenn du meinst, du wärst dieser Schmerz, dann glaubst du irgendwann auch, dass du den Schmerz verdient hättest. Der Koran sagt, Allah ist al-Rahim . Weißt du, was al-Rahim bedeutet?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte diese Worte zahllose Male aus dem Mund meiner Mutter gehört, aber sie hatte mir nie erklärt, was sie bedeuteten.
    »Es bedeutet, dass Allah verzeiht. Er vergibt uns. Und es bedeutet, dass wir den Schmerz, den wir in uns behalten, nicht

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