Himmelssucher - Roman
schliefen die nächsten zwei Tage mehr oder weniger durch. Erst Mitte der Woche aßen wir zum ersten Mal zusammen. Ich kam am Nachmittag von der Schule heim, und im Haus hing der Duft von Lamm nach Lahori-Art, von selbstgemachtem Nanund Bhindi bhuna. Bei den Hausaufgaben am Küchentisch sah ich Mina und Mutter zu, die bis in den Abend hinein kochten, lachten und sich Geschichten auf Panjabi erzählten – das ich verstand, aber selbst nicht sprechen konnte. Mutter war so glücklich. Und neben ihr Mina, die tatsächlich und sehr lebendig um eben den Kühlschrank herumschwebte, an dem ihr Foto hing, das ich zwei Jahre lang angestarrt hatte. Es hatte wirklich etwas Erstaunliches, Wunderbares an sich.
Das herrliche Essen an diesem Abend versetzte sogar Vater in eine sentimentale Stimmung. Am Ende der Mahlzeit lehnte er sich auf dem Stuhl zurück, in seinem Blick ein weiches, zufriedenes Schimmern, und mit dem Lassi-Glas prostete er Mina und ihrem Sohn zu und sagte: »Es ist schön, dich hier zu haben.«
Mina sah ihn an, auf den Lippen dieses verführerische Lächeln, das ich vom Foto her kannte. »Danke, Naveed«, sagte sie. »Du bist sehr großzügig.«
Vater gab sich empört. »Unsinn«, widersprach er. »Außerdem solltest du nicht mir danken. Sondern Muneer. Sie hätte mir beide Beine gebrochen, wenn ich mich nicht einverstanden erklärt hätte … Aber ich muss sagen, ich bin froh darüber.«
»So, dann wissen wir jetzt also«, flachste Mutter, »dass der Weg zu deinem Herzen über den Magen geht.«
Er schenkte ihr ein maliziöses Lächeln. »Unter anderem.«
Mutter wurde rot und sah weg.
Auch Mina wandte den Blick ab und sah zu ihrem Sohn. »Sag danke zu deiner Tante Muneer und deinem Onkel Naveed.«
»Danke, Tante. Danke, Onkel«, murmelte Imran.
»Es ist uns eine Freude«, jubilierte Mutter.
Vater betrachtete liebevoll den Jungen. »Keine Ursache, Kurban «, sagte er.
Verwirrt sah ich zu Vater. Es schmerzte – wie ein Insektenstich am Herzen –, dass er Imran so genannt hatte.
»Was?«, fragte er.
»› Kurban ‹?«, platzte ich heraus. »So nennst du sonst nur mich!«
»Was heißt das?«, kam es von Imran.
»Damit bezeichnen wir das Wichtigste, das wir verschenken können«, sagte Mina und wandte sich mit einem Lächeln an mich. »Das Opfer unseres Herzen.« Sie strich mir die Haarsträhnen aus den Augen. »Du bist auch mein Kurban «, sagte sie liebevoll.
Einige Wochen nach ihrer Ankunft erlebte ich zum ersten Mal, welch tieferes Verständnis Mina allem und jedem entgegenbrachte. Andere hielten dies für einen Ausdruck ihrer Intelligenz, meiner Ansicht nach handelte es sich dabei eher um eine spirituelle Gabe.
Sie saß am Esstisch, war in ein Buch vertieft, während ein Streifen der Nachmittagssonne wie ein glänzender Schal über sie drapiert war. Ich konnte sie klar und deutlich aus dem angrenzenden Wohnzimmer sehen, wo ich saß und wegen des Eiscreme-Festes schmollte, das wieder einmal ohne mich stattfinden sollte.
In der letzten Woche des Schuljahrs, jeweils am Donnerstag, baute die Lutherische Kirche auf der Rasenfläche neben der Mason Elementary – wo ich die fünfte Klasse besuchte – einen Mini-Rummel auf und veranstaltete dort jedes Jahr das sogenannte Eiscreme-Fest. Es gab Buden, ein Karussell und mehr als nur ein paar Eisstände. Man bekam Banana-Split und Turtle Sundaes und das bei allen besonders beliebte Softeis in der Waffel. Dazu stellte die Schule die Turnhalle zur Verfügung, und während die Mütter und Schwestern und Freundinnen in Sandalen und pastellfarbenen Kleidern ihr Eis aßen, traten die Jungs und Väter zu einem Basketballspiel an, das schon Monate vorher in aller Munde war. Seit der zweiten Klasse versuchte ich meine Mutter dazu zu bringen, mich dorthin zu lassen.
»Wir gehen nicht in die Kirche, Hayat. Wir sind keine Christen. Irgendwo müssen wir eine Grenze ziehen.«
»Es geht nicht um die Kirche, Mom. Sondern ums Spielen und ums Eisessen.«
»In einer Kirche.«
»Davor. Und in der Schule.«
»Auf dem Schild vor der Kirche steht ›Eiscreme-Fest der Lutherischen Gemeinde‹.«
»Bitte, Mom.«
»Hayat, mach keine Schwierigkeiten.«
»Biiitte.«
»Nein. Und das ist mein letztes Wort.«
Sie ließ sich nicht erweichen. In einem Jahr allerdings – am Ende der vierten Klasse – fuhr sie absichtlich am Fest vorbei; vielleicht kamen ihr Zweifel, ob sie in dieser Angelegenheit nicht doch zu streng gewesen war. Als sie am Nachmittag nach Hause kam, bebte
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