Himmelssucher - Roman
einem einzigen Satz von Arabien in den Sinai getragen hatte, damit der Prophet sehen konnte, wo Moses mit Gott gesprochen hatte, und mit einem weiteren Satz landete es in Bethlehem an der Stelle, wo Jesus geboren worden war, und schließlich in Jerusalem, wo eine glitzernde Leiter aus dem Himmel herabragte.
Der Buraq mit dem Propheten auf dem Rücken stieg die hundert Sprossen hinauf und gelangte so ins Paradies.
Nachdem er die Smaragd- und Perltore durchquert hatte, ritt der Prophet auf dem Buraq durch den Himmel und erblickte dessen ganze Pracht, die goldenen Paläste in den Wolken, die Brunnen und Flüsse aus Milch und Honig und Wein, der anregend wirkte, aber nicht berauschte, die Scharen der Jungfrauen und lobpreisenden Engel und jeden einzelnen Propheten des Allmächtigen. Mohammed grüßte sie alle, und sie alle beteten zusammen in einer diamantenen Moschee. Dann stieg er wieder auf den Buraq, und sie flogen weiter und immer weiter hinauf, durch Lichtschleier auf Lichtschleier bis an die Grenzen der Schöpfung. Und schließlich kamen sie an den Ort, wo der Buraq nicht mehr weiter konnte.
Hier blickte der Prophet nach oben und sah einen Baum, der so groß war wie das Universum. Das war der Sidrat al-Muntaha, der äußerste Baum an der äußersten Grenze. Nun ließ der Buraq ihn allein. Niemand, noch nicht einmal der Erzengel Gabriel, war jemals so weit gekommen. Hier wohnte Allah.
Der Prophet trat vor und begab sich in die Gegenwart des Herrn.
»Allmächtiger Gott«, sagte Mohammed, »lass mich dich sehen.«
Und mit einem Mal sah er nichts außer den Herrn. Er sah nach rechts und sah nichts als den Herrn, er sah nach links und sah nichts als den Herrn, und er sah nach vorn, nach hinten und nach oben … und überall, wohin sein Blick schweifte, sah er nichts als den Herrn. Wie der Herr aussah, wollte Mohammed nie sagen, außer dass seine Schönheit so groß war, dass er am liebsten verweilt hätte, um ihn für immer anzusehen. Doch der Herr sagte ihm: »Du bist mein Bote, und wenn du hierbleibst, wirst du meine Botschaft nicht überbringen. Kehre zurück auf die Welt. Und wenn du mich sehen willst, so wie du mich jetzt siehst, dann sprich deine Gebete, und ich werde vor dir erscheinen.«
»Deshalb beten wir, Behta «, erklärte Mina. »Damit wir Allah genau so erkennen, wie Mohammed ihn auf seiner nächtlichen Reise erkannt hat.«
Ich fragte sie, wie Mohammed ausgesehen hatte.
Mina ließ sich lange Zeit, bis sie darauf antwortete. »Ich habe ihn nie gesehen, Behta . Aber ich hatte einen Lehrer in der High School, einen großartigen Mann, Dr. Khan. Er ist dem Propheten, Friede sei mit ihm , in einem Traum begegnet. Er hat ihn als attraktiven Mann mit langen Wimpern und dichten, schwarzen Haaren beschrieben. Er sagte, er hatte einen Vollbart und ein wunderbares Lächeln, das eine kleine Lücke zwischen den beiden Schneidezähnen zeigte.«
»Aber woher willst du wissen, dass er wirklich so ausgesehen hat? Es war doch nur ein Traum …«
»Träume sind sehr wichtig, Behta . Im Islam glauben wir, dass sie dir Dinge zeigen können, die wirklicher sind als das, was wir im Wachen sehen. Und wenn der Prophet einen im Traum besucht, ist das ein sehr wichtiges Zeichen.«
»Ein Zeichen von was, Tante?«
»Ein Zeichen von großer Heiligkeit. Es bedeutet, dass der Prophet über dich wacht.«
Die Geschichtenstunde hatte mich nicht beruhigen können. Aufgewühlt verließ ich Minas Zimmer und fragte mich, warum Gott so unmöglich weit von uns entfernt lebte. Statt in mein Zimmer ging ich nach unten in die Küche, wo Mutter mit dem Abfall beschäftigt war. Sie sah auf. »Hier«, sagte sie und reichte mir den Müllbeutel. »Bring ihn raus.«
Ich nahm ihn entgegen und blieb an der Küchentheke stehen. Sie stand an der Spüle, wusch sich die Hände und summte vor sich hin. Ich wollte, dass sie wieder zu mir hersah. Endlich tat sie es. »Was ist, Hayat? Verschon mich mit deinen Launen. Nun geh schon!«
Es war eine schwülwarme Julinacht. Der Rasen war übersät mit Insekten, mit flackernden Glühwürmchen, lärmenden Grillen. Etwas in mir schmerzte, fühlte sich wund an. Ich trottete zu den Mülltonnen am Ende der Einfahrt.
Was ist bloß mit mir los? , fragte ich mich.
Vor den Tonnen blieb ich stehen. Beharrlich pochend tat etwas in mir weh. Mir war, als müsste ich etwas tun, wusste aber nicht, was.
Dann erinnerte ich mich daran, was Mina mir beigebracht hatte. Ich schloss die Augen und atmete.
Ein und aus. Ein
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