Himmelssucher - Roman
den Kopf, und Mina kam auf allen vieren hereingekrochen.
»Wo ist Nathan?«, fragte ich.
»Er ist nach Hause gefahren, Behta «, sagte sie, nahm eine von Imrans Star-Wars- Figuren und spielte mit ihrem Sohn. Imran nahm ihr die Figur aus der Hand und zeigte ihr, wie sie sie zu halten hatte. »So«, erklärte er, »und nicht so.« Achselzuckend sah Mina zu mir. Sie konnte keinen Unterschied erkennen.
Aus der Küche waberte ein nicht sehr angenehmer, entfernt an Ammoniak erinnernder Geruch.
»Was stinkt da so?«, fragte ich.
»Deine Mom macht Niere auf Lahori-Art«, sagte Mina.
»Riecht wie Gummi.«
»Kann sein. Schmeckt aber nicht so.«
»Hab ich noch nie gegessen.«
Mina sah mich ungläubig an. »Das nehme ich dir nicht ab, Behta . Du musst es schon mal gegessen haben. Es ist das Lieblingsgericht deines Vaters.«
»Warum macht sie es?«
»Was meinst du wohl, Behta ?«
»Wenn es Dads Lieblingsessen ist, warum macht sie es dann?«
»Sie will deinem Vater eine Freude machen.«
»Aber warum?«, fragte ich sehr scharf.
»Warum?« Mina sah mich nur verwundert an.
»Vergiss es«, sagte ich und kroch aus dem Zelt.
Wenn es meine Mutter darauf angelegt hatte, ihrem Mann eine Freude zu machen, dann war es ihr gelungen. Er seufzte vor Behagen, schaufelte sich Nierchen und Chapatti in den Mund und sah zwischen den einzelnen Bissen immer wieder zu seiner Frau. »Genau wie in Lahore, Muneer. Genau wie zu Hause.« Sie strahlte. Er nahm einen weiteren Bissen und schüttelte den Kopf. »Vorzüglich … einfach vorzüglich.«
»Es freut mich, wenn es dir schmeckt, Naveed«, sagte Mutter.
Vater schluckte einen weiteren Bissen hinunter. »Was würde ich bloß ohne dich tun?«
Mutter zuckte mit den Schultern und schien von der Offenheit dieser Frage ebenso erfreut wie peinlich berührt. Vater genoss die Situation in vollen Zügen.
»Ich werde es dir sagen«, begann er gut gelaunt. »Ich würde verloren gehen. Das würde passieren.« Vater wandte sich an Mina. »Diese Frau sorgt dafür, dass ich ein ehrlicher Mensch bin.«
»Das ist gut«, sagte Mina.
»Und mehr als das …«, sagte er, und in seinen Augen funkelte es schelmisch, als er die Hand ausstreckte und Mutter am Arm berührte.
Sie wurde rot und kicherte dabei wie ein Schulmädchen.
Träumte ich hier? Am Morgen noch hatte sie in meinen Armen geschluchzt und sich bitterlich über Vater und seinen Mund beschwert – ein Rätsel, das sich mir immer noch nicht erschloss –, und jetzt wurde sie rot und grinste und giggelte, als wäre nie etwas gewesen.
Kauend sah Vater zu mir. »Schmeckt es dir?«
»Es riecht wie Gummi. Und es schmeckt auch so.«
»Umso besser für mich. Dann habe ich auch noch was zum Frühstück«, sagte er mit seltsam hoher Stimme, als ahme er eine Comicfigur nach. In meinen Ohren klang er nur albern.
»Nimm es«, sagte ich und schob meinen Teller weg.
Mutter griff zum Brotkorb und nahm ein Chapatti. »Hier«, sagte sie. »Iss das zu deinem Joghurt, dann kannst du gehen.«
»Ich mag auch keine Nieren«, kam es von Imran.
Aber Mina gab ausnahmsweise einmal nicht nach. »Du isst dein Essen auf, Imran. Alles auf deinem Teller. Keine Widerrede.«
Imran starrte sie an, dann sah er zu Vater, der sich über seinen Teller beugte und schmatzende Geräusche von sich gab. »Mmm, so lecker«, summte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Imran begann zu lachen, als sich Vater einen weiteren Bissen in den Mund schob und übertrieben eifrig kaute. »Mmm«, sagte und deutete auf alle Teller. »Den hier werde ich aufessen und den … und den da drübenauch. Ich werde alle aufessen!«, knurrte er und stieß dazu das Grollen eines Ungeheuers aus. Und als er nach Imrans Teller greifen wollte, beugte sich der Junge vor, schob sich einen Bissen in den Mund und kaute breit grinsend.
Mutter kicherte noch mehr. Und auch Mina lachte.
Ich dachte, ich müsste mich kneifen.
Als sie das Geschirr abräumten, sagte Mina zu meinen Eltern, dass sie sich um den Abwasch kümmern würde. Mutter und Vater standen daher auf und taten etwas, was sie sonst nie taten:
Sie gingen spazieren.
Nachdem Mina den Geschirrspüler beladen und den Tisch abgewischt hatte, scheuchte sie mich in ihr Zimmer, wo sie Imran und mich mit der Geschichte von der nächtlichen Reise des Propheten ins Paradies beglückte. Sie erzählte von dem Ausflug auf dem Rücken des Zauberpferdes Buraq, eines Wesens mit den Schwingen eines Adlers und dem Kopf eines Löwen, das den Propheten mit
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