Himmelssucher - Roman
im Tee, Hayat?«, fragte Nathan.
»Klar.«
Nathan gab einen Löffel voll in meine Tasse. Dann wandte er sich an Mina. »Meen?«
»Ja, bitte, Nate. Aber gib erst dir.«
»Nein. Sag mir, wie viel du willst.« Er hatte seinen kleinen Teelöffel noch nicht einmal zur Hälfte mit Zucker gefüllt.
»Das reicht.«
»Etwas mehr vielleicht?«, fragte er lächelnd. Mina sah ihm in die Augen und lächelte ebenfalls.
»Ein kleines Bisschen«, erwiderte sie geziert. Nathan tauchte seinen Löffel erneut in die Zuckerdose und gab ihn anschließend in Minas Tasse.
»Hier, bitte sehr«, sagte Nathan mit schwungvoller Geste.
»Danke, Nate.«
»Du musst mir nicht danken … Erweise mir nur ebenfalls den Gefallen«, sagte er und schob ihr die Zuckerdose hin. Er spielte Theater. Genau wie sie. Aber ich wusste nicht, für wen.
»Wie viel?«, fragte sie.
»Ein Löffel, das reicht.«
Mina sah ihm in die Augen, während sie den Löffel in seine Tasse fallen ließ und umrührte.
Ohne den Augenkontakt abreißen zu lassen, führte Nathan die Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck.
»Mmm. Perfekt. Meen, du bist ja so süß . Weißt du das?«
Mina lachte. »Nate, das war ein ganz und gar fürchterliches Wortspiel.«
»Es ist kein Wortspiel. Es ist die Wahrheit. Du bist süß. Das süßeste Ding, das ich kenne.«
Nun nahm Mina einen Schluck, auch sie ließ den Augenkontakt nicht abreißen. »Du bist doch der Süße von uns beiden.«
»Nein, das bist du.«
»Nein, du .«
»Nein, du .«
»Gut. Wir sind beide süß.«
Kaum zu glauben, dass sie so lange brauchten, bis sie meinen entgeisterten Blick bemerkten. Aber als es so weit war, rutschten sie auf ihren Stühlen herum. Nathan räusperte sich.
»Wie schmeckt dir der Tee, Hayat?«, fragte er.
»Gut.«
»Also, Hayat, hör zu. Ich glaube, es gibt eine Geschichte, die ich dir erzählen möchte.
»Welche?«
»Eine über Abraham.«
»Hazrat Ibrahim, Behta «, fügte Mina hinzu. Nathan sah zu ihr.
»Richtig, Ibrahim, wie er im Koran genannt wird. Ich möchte dir von dem Mann erzählen, dem der Prophet, Friede sei mit ihm , so große Achtung entgegenbringt. Er hat Ibrahim den wahren Vater des Islam genannt.«
Als er das sagte, wandte ich mich an Mina. Sie nickte.
Nathan erzählte also seine Geschichte von Ibrahim, dem Mann, vom dem geschrieben stand, dass es sein Schicksal war, die Wahrheit des einen und einzigen Gottes unter den Menschen zu verbreiten. Er erzählte die Geschichte, die ich später im Koran lesen würde: Ibrahim, dessen Vater Götzenbilder schuf, hielt schon als kleiner Junge die Statuen seines Vaters für lächerliche Gebilde. Er konnte nicht verstehen, wie die Menschen allen Ernstes glaubten, dass diese Holz- oder Steinfiguren ihnen helfen oder schaden konnten. Die Statuen aßen niemals die Gaben, die ihnen dargereicht wurden; sie konnten sich weder bewegen noch reden. Warum glaubten die Menschen, diese Götzen hätten irgendeine Macht über sie?
Eines Tages ging der junge Ibrahim in die Berge. Und dort offenbarte Allah ihm die Wahrheit. Während er in den Himmel hinaufsah, erkannte Ibrahim, dass manche Menschen die Sterne anbeteten und andere den Mond und wieder andere die Sonne; aber es gab nur Einen, der all diese Dinge erschaffen hatte. Und dieser Eine, erkannte Ibrahim, war Gott, der eine und einzige Herrscher des Universums. In diesem Augenblick hörte Ibrahim den Himmel seinen Namen rufen.
»O Ibrahim!«
Und er wusste, der Herr sprach zu ihm.
Ibrahim warf sich zu Boden und rief: »Ich unterwerfe mich, Herr der Welt!«
Ibrahim kehrte zu seinem Volk zurück, um ihm die Wahrheit zu verkünden. Er sprach mit den Menschen und berichtete von dem Wunder, das er erlebt hatte, aber keiner hörte auf ihn. Sein wütender Vater drohte damit, ihn zu steinigen, falls er die Götzen nicht verehrte. Aber Ibrahim gab nicht nach. Er ging zu den Altären am Fluss, wo die Götzenbilder zu einem religiösen Fest aufgestellt waren und Opfergaben vor ihnen ausgebreitet lagen. »Könnt ihr diese Speisen essen?«, schrie Ibrahim zu den Statuen. Sie schwiegen. »Was ist los mit euch, dass ihr nicht redet?«, spottete er.
Und dann hob er die Axt und zerstörte die falschen Götter.
Ibrahim wurde gefangen genommen. Die Menschen beschlossen, ihn für den von ihm begangenen Frevel bei lebendigem Leib zu verbrennen. Sie hoben eine tiefe Grube aus und füllten sie mit Feuer, dann warfen sie Ibrahim hinein. Aber die Flammen verschlangen ihn nicht, denn Allah hatte
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