Himmelssucher - Roman
Mutter. Sie hatte Imran an der Hand. »Und den Bart auch. Damit sieht er so würdevoll aus.«
Vater rollte mit den Augen. »Was ich von dem Gestoppel in seinem Gesicht halte, weiß er bereits. Aber mit der Topi ist alles noch schlimmer. Er sieht wie ein verdammter Imam aus. Du bist ein Doktor, Nate. Kein Maulvi.«
»Noch nicht«, erwiderte Mina lächelnd.
»Gott behüte«, stöhnte Vater.
Nathan zeigte auf mich. »Er trägt auch eine«, sagte er.
Vater schüttelte den Kopf. »Er ist ein Kind, Nate. Er weiß es nicht besser …«
Nathan sah zu mir; als sich unsere Blick trafen, lächelte er.
Ich sah weg.
»Brechen wir auf«, sagte Vater und zog die Schlüssel aus seiner Tasche. »Es ist einfach nicht zu glauben, dass ich mich dazu habe überreden lassen. Wirklich nicht zu glauben.«
»Du machst es, weil du mich liebst, Naveed«, sagte Nathan zum Spaß.
»Das stimmt«, antwortete Vater, plötzlich ganz ernst. »Da hast du recht.«
Jahrelang hatten die Muslime an religiösen Feiertagen mit provisorischen Gebetsräumen auskommen müssen, die in den Bankettsälen der örtlichen Hotels hastig eingerichtet wurden. Adnan Souhef – ein schwergewichtiger Chemiker aus Jordanien mit ausreichend religiöser Bildung, um als Imam durchgehen zu können – kam den Bedürfnissen der Gemeinde nach, indem er die Räumlichkeiten mietete und am Abend vor den halbjährlichen Eid-Festen alles vorbereitete: Er bedeckte die von Kaffeeflecken verunzierten Teppiche mit gebügelten weißen Laken, auf denen die Gläubigen beten konnten; er errichtete eine Mihrab (Gebetsnische), die die Richtung nach Mekka anzeigte; baute einen Vorhang auf, um die Geschlechter zu trennen, und installierte schließlich eine Lautsprecheranlage, damit die Frauen auf der anderen Seite des Vorhangs die Chutbah (Predigt) hörten, die Souhef vor dem Gebet hielt. Zehn Jahre ging das so. Zehn Jahre, denn so lange dauerte es, bis Souhef genügend Geld gesammelt hatte, um nicht mehr auf solche Provisorien angewiesen zu sein.
1980 hatten Souhef und sein Konsortium aus muslimisch-amerikanischen Geschäftsleuten genügend Mittel angespart, um eine feste Bleibe zu erwerben. Und so wurde, zum Preis von einer Viertel Millionen Dollar, das Molaskey-Schulhaus – ein leer stehender Prachtbau inmitten des polnischen Viertels auf der South Side – zu unserem ersten Islamischen Zentrum.
Das Molaskey-Schulhaus, benannt nach dem Hügel, auf dem es stand, war ein solider, viergeschossiger Ziegelbau mit runden Türmen und konischen Dächern. Es glich eher einer Burg als einer Moschee. Da es direkt am Highway nach Süden stand, war die neuromanische Fassade (mit gotischen Giebeln) von den Abgasen der vorbeirauschenden Autos schwarz verfärbt. Und da es keine Kinder mehr gab, die wie früher die Flure bevölkerten und auf den Freiflächen spielten – und deren Anwesenheit dem strengen, finsteren Bau etwas Fröhliches verliehen hätte –, verströmte das Islamische Zentrum eine düstere, ja gespenstische Atmosphäre.
»Hier ist es«, sagte Vater, als er vom Highway abbog und in den Verkehr der steil bergauf führenden Molaskey Street einfädelte.
»Witzig«, sagte Nathan. »Ich habe sie tausendmal vom Highway aus gesehen. Ich dachte immer, das Gebäude würde leer stehen.«
»Wäre für uns allemal besser, wenn es so wäre«, sagte Vater. Nach weiteren zwanzig Metern bog er in einen Parkplatz ein, auf dem bereits zahlreiche Autos standen. »Da ist er«, sagte Vater in seinem stichelnden Tonfall.
»Wer?«, fragte Nathan.
Vater deutete auf die Eingangsstufen, während er den Wagen in eine freie Parklücke setzte. »Der Oberclown höchstpersönlich … oder Ober schurke , sollte ich sagen.« Er zeigte auf Imam Souhef, der auf den Stufen stand und eine Zigarette rauchte.
»Wer ist das?«
»Imaaam Souheeef.« Vater zog spöttisch die Vokale lang.
»Warum ist er ein Schurke?«
»Hast du jemals einen Mann Gottes kennengelernt, der Gott mehr liebt als das Geld?«
Neugierig starrte Nathan aus dem Fenster.
»Hast du mich gehört, Nate?«
»Ich habe dich gehört … Um ehrlich zu sein … ja, Naveed. Ich habe mal einen Mann Gottes gekannt, der Gott mehr geliebt hat als das Geld.«
»In einem deiner Romane«, höhnte Vater.
»Nein. Als ich noch klein war. Ein enger Freund meines Vaters. Er war Rabbi. Ein guter Mensch. Wirklich. Ein wirklich guter Mensch. Die Menschen in seiner Synagoge haben ihn verehrt.«
»Na, dann geh dorthin zurück, Nate!«, sagte Vater und verpasste
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