Himmelssucher - Roman
überkam mich brennende Scham. Ich werde es nie wieder tun , dachte ich.
In der zweiten Augustwoche fuhr Nathan zu seinen Eltern, um mit ihnen über seine Konversion zu reden. Sein Vater, der einen großen Teil der Familie im Holocaust verloren hatte, war zwar Atheist, definierte sich aber trotzdem stark über seine jüdische Kultur. Nathan erwartete, dass sein Vater geschockt sein würde, dass er sogar ausfällig werden könnte. Deshalb hielt er es für das Beste, erst mit seinen Eltern zu reden, bevor er ihnen bei einem weiteren Besuch Mina vorstellte.
Mitte der Woche fuhr er los und wollte am Wochenende wieder zurückkommen. Mina verbrachte diese Tage fast ausnahmslos am Telefon mit ihm. Sie machte sich Sorgen, grundlos, wie sich herausstellen sollte. Das Gespräch mit den Eltern lief prächtig, Nathans Vater hatte keinerlei Einwände, gab seinem Sohn aber eine Warnung mit auf dem Weg:
Niemand wird in dir jemals etwas anderes sehen als einen Juden , sagte er.
»Da irrt er sich«, sagte mir Mutter an einem Morgen, als sie mir voller Enthusiasmus alles haarklein erzählte. »Genau darin sind wir so anders. Wenn du erst Muslim bist, dann bist du nichts anderes mehr. Dann spielt es keine Rolle mehr, was du warst oder woher du stammst – das ist die wahre Demokratie, in der jeder abstimmen darf.«
»Es gibt da nichts abzustimmen, Mom. Das hat nichts mit einer Wahl zu tun. Er wird einfach nur Muslim.«
Mutters Enthusiasmus bröckelte. »Sei nicht so ein Besserwisser, Hayat. Du weißt ganz genau, was ich meine.«
Sie hatte recht. Ich wusste es. Ich war mir nur nicht sicher, ob sie auch wusste, was sie eigentlich sagte. Denn wenn es in der Politik – so wie bei der jährlichen Wahl der Klassensprecher – darum ging, andere Leute dazu zu bringen, dass sie einen mochten, dann hatte Nathans Interesse am Islam jedenfalls wesentlich mehr mit Politik als mit Religion zu tun. Jedenfalls mehr, als sich Mina oder Mutter eingestehen wollten.
Während Nathans Abwesenheit verhätschelte Mina Imran noch mehr als sonst. Ihr Ziel war klar: Sie versuchte ihren Sohn an den Gedanken zu gewöhnen, dass Nathan sein Vater werden würde. Mutter bezeichnete die ganze Situation mit Imran als »absurd«. Ihrer Meinung nach musste Mina den Mann nur heiraten und Imran zwingen, sich mit der Sache anzufreunden.
»›Er will keinen weißen Vater …‹, spottete Mutter. »Was in Gottes Namen hat er zu melden? › Warum kann ich keinen Vater wie Onkel Naveed haben? Der Junge sieht deinen Vater und glaubt, so müsste ein Vater aussehen. Aber er versteht nicht, dass es nicht darum geht, welche Farbe er außen hat, sondern wie es in seinem Innern bestellt ist … Und innen ist dein Vater, wie wir alle wissen, schwarz. Schwarz wie die Nacht!« Mutter musste sich sammeln. Die glückseligen Tage, ausgelöst durch ihre Nieren auf Lahori-Art, hatten anscheinend nicht lange angehalten. »Ständig sage ich ihr, er ist ein Kind . Beachte ihn nicht. Aber sie hört nicht auf mich. Und dann denkt sie sich: Wenn er das sagt, was wird dann erst meine Familie sagen … Wen kümmert es schon? Was habendie denn jemals getan, um sie glücklich zu machen? Nichts! Haben sie geschlagen, weil sie Bücher gelesen hat, großer Gott! Das haben sie getan! Für jemanden, der so kultiviert, so intelligent ist, macht sich deine Tante viel zu viele Sorgen über das, was sich andere denken …« Mutter seufzte, dann huschte ein leises Lächeln über ihr Gesicht. » Kurban , wenn ich das hinkriege, dann sollte mir der Nobelpreis verliehen werden, nicht Sadat …«
Am Sonntag kam Nathan zurück. Vater hatte sich bereiterklärt, ihn an diesem Tag zum Islamischen Zentrum in der South Side zu begleiten, damit sich Nathan dem Imam vorstellen konnte. Vater fragte mich, ob ich ebenfalls mitkommen wollte. Ich war ganz aufgeregt. Er hatte mich so gut wie nie zur Moschee mitgenommen. Natürlich wollte ich mitkommen.
Spät am Morgen erschien Nathan bei uns und trug dieselbe Gebetskappe wie an dem Tag, an dem er die Geschichte von Ibrahim erzählt hatte. Vater, der ihn bislang nicht mit Topi-Gebetskappe gesehen hatte, machte keinen Hehl aus seiner Überraschung, als wir alle im Flur standen.
»Was zum Teufel ist in dich gefahren, Nate? Warum hast du dieses Ding auf dem Kopf?«
»Wir gehen in die Moschee, Naveed.«
»Und?«
»Ich möchte respektvoll erscheinen.«
»Er sieht gut aus«, sagte Mina stolz. »Meinst du nicht auch, Bhaj ?«
»Ich finde die Topi großartig «, sagte
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