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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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tauchten unangenehme Bilder auf. Um sie zu verscheuchen, sagte er:
    »Es war wohl auch einmal eine Klinik für plastische
Chirurgie? Das hat der Fahrer erzählt, der mich herbrachte.«
    »Stimmt. Ein perfektes Versteck für frisch operierte Gesichter. Ja, mein Gott, was für ein Ort. Seit Hunderten von Jahren ist es der Müllplatz für elende arme Teufel. Ich finde, man spürt es manchmal auf dem Klinikgelände. Schlechte Vibrationen. Deswegen versuche ich, so oft wie möglich abzuhauen. Ins Dorf hinunter oder hierher zur Stromschnelle.«
    Ein Fisch sprang aus dem Wasser. Wie ein in die Luft geworfenes glänzendes Messer flog er in einem hohen Bogen und fiel dann an einer höheren Stelle wieder in die schäumenden Wirbel.
    »Was für eine Kraft sie haben!«, rief Daniel aus.
    Max lächelte verkniffen.
    »Die kommen nicht weit. Da oben ist ein Gitter. Deswegen kann man hier so gut angeln. Jetzt machen wir weiter.«
    Max stand auf und nahm seine Angel.
    Daniel kam jetzt ohne Anweisungen zurecht, deshalb ging Max ein Stück weiter hinaus in die Stromschnelle. Jeder angelte jetzt für sich. Hin und wieder riefen sie sich ein Wort zu, hielten ihren Fang hoch, wenn ein Fisch angebissen hatte, und gratulierten sich gegenseitig. Sonst schwiegen sie, konzentrierten sich aufs Angeln und die eigenen Gedanken. Es roch nach Tannengrün, und durch das Brausen des Wassers meinte Daniel den Klang von Glocken zu hören. Es klang wie die Kuhglocke, mit der das Mädchen in der Bierstube seinen Gesang begleitet hatte.
    Die Brüder waren nun schon fast den ganzen Tag zusammen. Und noch war nichts passiert. Keine Wutausbrüche, keine gemeinen Bemerkungen, keine dummen Scherze. Max schien ausgeglichen und fröhlich zu sein. Ein wenig rastlos vielleicht, aber das gehörte ja zu seiner Persönlichkeit.
    Daniel stellte fest, dass auch er toleranter war gegenüber der anmaßenden Art des Bruders, seiner Selbstbezogenheit und der Unfähigkeit, zuzuhören. Er nahm es ihm im Gegensatz zu früher nicht mehr übel. Max freute sich offensichtlich über seinen Besuch. Er hatte ihn zum Essen eingeladen und zum Angeln mitgenommen. Das waren die Dinge, die Max ihm geben konnte, und Daniel konnte dieses Geschenk nun besser wertschätzen. Vielleicht hatten sie jetzt endlich eine Frequenz gefunden, auf der sie wie erwachsene, selbständige Menschen miteinander kommunizieren konnten.
    Das monotone Brausen des Wildbachs, das Rauschen der Tannen und die entfernten Kuhglocken versetzten Daniel in einen meditativen Zustand. Er hatte nicht bemerkt, dass Max seinen Platz verlassen hatte und am Ufer Fische ausnahm. Erst als Max ihn rief und losschickte, um Holz für ein Lagerfeuer zu holen, kam er wieder zu sich.
    Das Holz lag im Tannenwäldchen unter einem Regenschutz aus Tannenpfählen und einer Plane. Über die Schnittflächen der aufgestapelten Hölzer hatte jemand mit rosa Leuchtspray die Buchstaben T O M geschrieben.
    »Dieser Stapel ist gekennzeichnet. Können wir davon was nehmen?«, rief Daniel.
    »Das ist in Ordnung. Ich kenne den Bauern«, rief Max vom Bach herüber.
    Offenbar hatte er in der Bierstube im Dorf viele neue Kontakte geknüpft.
    Kurze Zeit später saßen sie vor einem kleinen Feuer und warteten, bis das Feuer zur Glut wurde, damit sie die in Folie verpackten Fische hineinlegen konnten. Da sagte Max:
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    Er sagte das in einem beiläufigen Ton. Als wollte er ihn um ein bisschen mehr Holz bitten. Aber diese einfachen
Worte, sanft und freundlich hervorgebracht, trafen Daniel wie ein Faustschlag. Er bekam fast keine Luft mehr und musste ein paar Mal tief einatmen, bevor er wieder sprechen konnte.
    »Aha?«, sagte er steif.
    Max stocherte mit einem Stöckchen im Feuer und sagte schließlich:
    »Ich habe einige Probleme.«
    »Worum geht es?«
    »Ich wohne nun schon eine Weile in der Klinik, und langsam wird das Geld knapp. Der Personal Trainer, Tennisstunden, mentales Coaching, Massage, Essen und Wein. Niemand redet hier über Geld, sie schreiben es einfach auf die Rechnung. Schließlich hat man das Gefühl, dass alles umsonst ist, obwohl man weiß, es ist schweineteuer.«
    »Du kannst die Rechnung nicht bezahlen, möchtest du mir das sagen?«
    »Eine Hostess übergab sie mir in einem hellblauen Umschlag bei der Nachtpatrouille. Diskret, lächelnd. Ich öffnete den Umschlag erst, als sie gegangen war. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen.«
    Daniel war empört. Er fand das Verhalten der Klinik eigenartig,

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