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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Bestimmtes, Zielbewusstes, beinahe Aggressives.
    Max bemerkte sofort sein Interesse.
    »Ich wette, sie ist Schwedin«, zischte er neben Daniels Gesicht. Es war schwierig, sich zu verständigen. Die Fernseher liefen auf voller Lautstärke, das Publikum kommentierte laut das Spiel.
    »Es gibt hier jede Menge Schwedinnen, und man erkennt sie sofort. Und ich wette noch was.« Max beugte sich noch näher zu ihm, ihre Nasen berührten sich. Seine Augen glänzten betrunken, der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, er hatte Mundgeruch. »Sie ist noch Jungfrau.«
    Dann wollte Max weiterziehen, aber Daniel wollte nicht mitkommen.
    »Geh nur«, sagte er zu Max. »Ich bleibe noch ein wenig hier.«
    Als Max weg war, ging er zum Tisch des Mädchens und fragte, ob er sich setzen dürfe. Sie aß Fish & Chips, es sah fettig und unappetitlich aus, aber sie aß tapfer weiter.
    »Findest du das wirklich gut?«, fragte Daniel auf Schwedisch.
    »Oh yes, I really …«, begann sie mit angespannter Stimme, dann hielt sie inne. »Bist du aus Schweden? Also, nein, eigentlich nicht. Aber ich esse es.«
    Sie arbeitete als Au-pair-Mädchen in einer Familie mit drei Kindern. Sie hatte im Frühjahr das Gymnasium beendet, naturwissenschaftlicher Zweig, und wollte Chemotechnikerin werden. Aber zuerst wollte sie noch ein wenig Erfahrungen sammeln, etwas von der Welt sehen. In der Familie fühlte sie sich überhaupt nicht wohl und hatte Heimweh. Einmal in der Woche hatte sie frei, aber es war nicht leicht, Freunde zu finden. Zu ihrem Entsetzen hatte sie außerdem festgestellt, dass ihr Englisch miserabel war. Im Gymnasium hatte sie die besten Noten gehabt, aber die Leute hier redeten überhaupt nicht wie in den britischen Fernsehserien, sie verstand so gut wie nichts.
    Daniel hatte sie gefragt, warum sie nicht nach Hause zurückfuhr, wenn sie sich so unwohl fühlte. Sie richtete sich auf, streckte das Kinn vor und sagte, sie würde nicht aufgeben. Sie gab niemals auf. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern, und sie waren sehr stolz auf sie.
    »Es ist nicht einfach als Einzelkind«, sagte sie. »Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Geschwister. Hast du Geschwister?«
    Zu seinem Erstaunen hörte Daniel sich »nein« sagen. Er wusste nicht, warum, aber er wollte in diesem Moment nicht darüber reden, wie es ist, ein Zwilling zu sein. Mit diesem Thema zog er immer alle Aufmerksamkeit auf sich und stellte alle anderen in den Schatten.
    »Dann weißt du ja, wie es ist.«
    Sie sprachen lange miteinander. Das Mädchen sagte, sie habe in zwei Monaten nicht so viel gesprochen wie jetzt mit ihm. Sie war offenbar sehr allein. Kein Freund, keine Freundinnen.
    Etwas Besonderes war an ihr. Sie wirkte zart und gleichzeitig sehr stark und unbezwingbar. Ein Mädchen aus Glas und Stahl, hatte Daniel gedacht. Sie hatte weißblonde Wimpern, die die meisten Mädchen mit Mascara dunkel gefärbt hätten, aber sie war völlig ungeschminkt. Sie regte sich leicht auf. Dann wurde ihr blasses Gesicht ganz rosa, ihre Pupillen weiteten sich und entlarvten eine Schwärze, die verlockend und beängstigend zugleich war.
    Zu seinem großen Erstaunen stellte Daniel fest, dass er verliebt war. Schmerzlich, schicksalhaft und wunderbar, das war ganz neu für ihn. Er empfand großen Respekt vor diesem Mädchen, fast Bewunderung, und gleichzeitig ein Begehren, das ihn beinahe verbrannte.
    Er hatte ziemlich viel Bier getrunken, und als er sich entschuldigte, um auf die Toilette zu gehen, hatte er Gelegenheit, nachzudenken. Was war los? Was sollte er machen? Sie um ihre Telefonnummer bitten? Würden sie Kontakt halten, wenn er wieder in Schweden war? Vielleicht konnte er nach England ziehen, an einer englischen Universität studieren oder sich eine Arbeit suchen, als Tellerwäscher zum Beispiel. Die Gedanken hüpften in seinem Kopf um
her, während er in der lautstarken Schlange vor der Toilette hin und her geschubst wurde. Es beunruhigte ihn, dass er so lange warten musste. Sie würde doch wohl nicht denken, dass er abgehauen war? Vielleicht würde sie nach Hause gehen?
    Als er endlich wieder ins Lokal zurückkam, sah er, dass sein Platz besetzt war. Max saß da und sprach mit dem Mädchen. Er war zurückgekommen. Vermutlich hatte er im Gedränge an der Bar gestanden und Daniel und das Mädchen beobachtet. Und als Daniel zur Toilette ging, hatte er einfach seinen Platz eingenommen.
    Das Mädchen war ganz absorbiert von ihrem Gespräch und lachte laut. Daniel erkannte sie fast nicht wieder,

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