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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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möglichen Farben geliefert. Man klebt sie stückchenweise mit einem Spezialkleber fest und schneidet sie dann in die
Form, die man haben will. Es ist eine bestimmte Technik, man muss sie lernen. Aber als Mitglied des Theaterensembles habe ich einen Schlüssel zum Fundus und konnte ein bisschen üben. Inzwischen kann ich es ziemlich gut.«
    Er zeigte auf Daniels Bart.
    »Diesen dunkelbraunen, fast schwarzen Ton haben wir im Fundus, und ich glaube, ich bekomme einen Bart hin, der deinem sehr ähnlich ist.«
    Daniel wollte protestieren, aber Max fuhr ruhig fort.
    »Und nicht nur der Bart unterscheidet uns. Auch die Bewegungen. Ich habe dich seit gestern genau studiert, und ich glaube, ich kenne dich jetzt ziemlich gut. Die Steifheit, die du als Jugendlicher hattest, hat zugenommen, irgendwie drehst du den ganzen Körper anstatt nur den Kopf. Hast du Gelenkschmerzen? Einen steifen Hals? Nein, du bist einfach nur ungelenkig. Du solltest mehr Sport treiben. Und dann hast du so Gesten, die von den Handgelenken ausgehen. Als wolltest du das, was du sagst, kleiner machen. In. Ein. Kleines. Viereckiges. Paket. Packen.«
    Max demonstrierte es mit seinen eigenen Händen. Angespornt durch seinen geglückten Versuch stand er auf und stolzierte durch das Wäldchen, steif und gerade, dabei gestikulierte er und tat so, als würde er sich mit jemand unterhalten.
    »Genauso ist es, verstehst du. Ich weiß, wie es sich verhält. Habe alles unter Kontrolle. Totaler Kontrolle.«
    Er legte affektiert die Hände aufeinander und nickte altklug.
    »Und die, die hätte ich fast vergessen«, rief er begeistert.
    Mit ängstlichem Blick führte er die Hände zum Kinn und piepste:
    »Nicht mein Gesicht berühren! Nicht schlagen!«
    Daniel zuckte zusammen, wie nach einem elektrischen
Schlag. Die Vorstellung war übertrieben, aber gut getroffen, das musste er zugeben.
    Er hatte schon immer sehr gut Aussprache und Tonlage von anderen Menschen aufgreifen können, was eine große Hilfe beim Erlernen fremder Sprachen war. Max hatte offenbar die gleiche Begabung. Aber er konnte es noch besser. Das Imitationsvermögen des Bruders betraf nicht nur die Sprache, sondern auch das ganze physische Register: Mimik, Blicke, Gang und Gesten. Das war imponierend und beängstigend. Daniel war erleichtert, als Max wieder zu seiner eigenen lässigen Körpersprache zurückkehrte.
    »Wie findest du es?«, fragte Max erwartungsvoll und trat das niedergebrannte Feuers aus. »Habe ich etwas vergessen?«
    »Nein, eigentlich nicht«, sagte Daniel kurz.
    »Wunderbar. Lob von höchster Stelle. Wir sollten uns auf den Heimweg machen. Jetzt, wo du weißt, wie man Lachsforellen angelt, wirst du diese paar Tage galant meistern.«
    »Red keinen Unsinn. Das funktioniert im Leben nicht.«
    »Wir werden sehen«, sagte Max und befestigte die Fahrradtasche am Rahmen. »Wir werden sehen.«

 
    12  Auf dem Rückweg durch das Tal fuhr Max plötzlich neben Daniel, beugte sich zu ihm und sagte mit gepresster Stimme:
    »Ich bitte dich, Daniel, erweise mir diesen Dienst. Ich werde dich nie wieder um etwas bitten. Aber hier geht es um Leben oder Tod. Buchstäblich, das ist mein Ernst. Leben oder Tod. Ich bitte dich nur, dass du morgens und abends in meiner Hütte bist, wenn die Hostessen die Anwesenheit kontrollieren.«
    »Sonst nichts? Bekommst du keine Behandlungen?«
    Max verlangsamte die Geschwindigkeit.
    »Gisela Obermann, meine Ärztin, will mich überreden, in Therapie zu gehen, aber ich will nicht. Sie wird während dieser Tage vielleicht versuchen, auch dich zu überreden, aber dann brauchst du nur nein zu sagen. Im Übrigen glaube ich, dass sie es aufgegeben hat. Es hat keinen Sinn, wenn man nicht motiviert ist.«
    »Und was ist mit deinen Mitpatienten? Du kennst doch Leute hier. Wie soll ich mich denen gegenüber verhalten?«, sagte Daniel und merkte jetzt, dass er mit seiner Frage schon sein Einverständnis signalisierte.
    »Ich habe mit fast niemandem Umgang. Man wechselt ein paar Worte übers Wetter, das war's. Das schaffst du. Und noch eins, man spricht hier englisch. Patienten und Personal. Versuch bloß nicht, mit deinem Deutsch oder Französisch zu brillieren.«
    »Aber viele sprechen doch Deutsch oder Französisch?«, wandte Daniel ein.
    »Keineswegs. Die Klinik ist international. Halte dich ans Englische. Die Leute könnten ärgerlich werden. Es gibt hier paranoide Typen, die meinen, man redet schlecht über sie.«
    Die Sonne war hinter den Bergen untergegangen, das Tal

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