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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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werden. Da hört meine Hilfsbereitschaft auf.«
    Max starrte ihn erstaunt an und brach in Lachen aus.
    »Nein, nein, Daniel. Darum würde ich dich nie bitten. Das würdest du auch nicht können. Der Umgang mit der Mafia ist eine Wissenschaft für sich.«
    Zu seiner Überraschung reagierte Daniel enttäuscht. Irgendwo ganz tief in seinem Inneren war er bereit, sich zu diesem Auftrag überreden zu lassen, eine ganz neue Herausforderung in seinem Leben.
    »Aber du wolltest mich doch um einen Gefallen bitten«, sagte er dann. »Was soll ich denn tun?«
    »Eigentlich nichts. Das Gleiche, was du heute und gestern getan hast. In Hannelores Bierstube ein Bier trinken. Mit dem Fahrrad hierher fahren und angeln. Kleine Wanderungen machen. Was du dir für deine Ferien in der Schweiz vorgenommen hast. Nur dass du kein Hotel bezahlen musst.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Wirklich nicht? Ich möchte dich einfach bitten, hierzubleiben, während ich meine Geschäfte erledige. Drei, höchstens vier Tage. Du sollst meinen Platz einnehmen.«
    Max beugte sich vor, schaute Daniel in die Augen und fuhr fort:
    »Ich reise als Daniel hier ab. Du bleibst als Max hier. Wir sind eineiige Zwillinge, hast du das vergessen?«
    Daniel seufzte und verdrehte die Augen.
    »Eins von den albernen Verwechslungsspielen, die wir als Kinder gemacht haben? Oder als du mir in London ein Mädchen ausgespannt hast? Meinst du, das geht so leicht? Außerdem sehen wir uns nicht mehr sehr ähnlich. Niemand hat uns auf unsere Ähnlichkeit angesprochen, seit ich hier bin, hast du das bemerkt? Weder auf dem Klinikgelände noch in der Bierstube. Keine Blicke, kein Flüstern oder Kommentare. ›Oh, ihr seid Zwillinge, wie lustig!‹ Niemand hat auch nur die Augenbrauen gehoben.«
    Max lächelte höhnisch.
    »Wie sollen sie denn sehen, dass wir uns ähnlich sind, wenn du den größten Teil deines Gesichts versteckst?« Beim letzten Wort beugte er sich vor und formte aus Daumen und Zeigefinger eine Pinzette, als wolle er Daniel in den Bart zwicken.
    Instinktiv beugte Daniel sich nach hinten, und seine Hand fuhr in einer schützenden Geste zum Kinn.
    »Deswegen hast du dir doch diese alberne Matte zugelegt, nicht wahr?«, fuhr Max fort. »Damit wir nicht mehr gleich aussehen. Du wolltest ein ganz eigenes Gesicht. Und das hat funktioniert, das muss ich zugeben. Aber unter diesem Fell siehst du genauso aus wie ich. Du musst es nur abrasieren, dann sind wir gleich.«
    »Aha, ich rasiere mir den Bart ab. Und sehe aus wie du. Und dein Bart wächst über Nacht, und du siehst aus wie ich?«, sagte Daniel ironisch. »Wenn dein Bartwuchs so ist wie der meine, dann dauert es Monate.«
    »Wenn er echt sein soll.«
    Daniel lachte auf.
    »Willst du mit einem falschen Bart herumlaufen? Dann werden sie wirklich denken, dass du verrückt bist. Das
hier ist kein Studentenstreich. Ein billiger falscher Bart – wenn du hier überhaupt so einen bekommst, was ich bezweifle – sieht einfach nur blöd aus. Da fällt niemand drauf rein.«
    Max faltete seine Alufolie mit den abgegessenen Gräten sorgfältig zusammen und verstaute das Päckchen in seiner Fahrradtasche.
    »Wer redet denn von einem billigen falschen Bart?«, sagte er ruhig. »In der Klinik von Himmelstal gibt es keine billigen Sachen. Alles, vom Klopapier bis zu den Perserteppichen in der Rezeption, ist von bester Qualität. Auch die falschen Bärte. Bist du fertig?«
    Er zeigte auf Daniels Folie, auf der Gräten und noch ein paar Fischreste lagen. Daniel nickte und sagte:
    »Und wozu hat eine Reha-Klinik falsche Bärte?«
    »Wir haben ein kleines Theater, verstehst du?«, sagte Max und faltete Daniels Folie genauso sorgfältig zusammen wie seine eigene. »Ein richtiges Theater mit Bühne und Logen. Eine Aula für Vorträge, Ärztekongresse und so. Aber auch für Theatervorstellungen. Die Klienten spielen selbst, es ist eine Art Therapie. Ich habe zum Beispiel den Flieger Sun in Der gute Mensch von Sezuan gespielt. Kam sehr gut an beim Publikum.«
    »Kann ich mir denken«, sagte Daniel säuerlich. »Hattest du einen Bart?«
    »Nein. Aber als ich den Bartvorrat im Kostümfundus sah, wurde mir klar, welche Möglichkeiten es da gibt. Imponierend. Die Hostess, die die Requisiten verwaltet, bestellt Haare von einer Firma in Großbritannien. Sie beliefern alle großen Theater und Opernhäuser in Europa. Man nennt sie c rêpe hair . Sie werden aus Wollfasern von schottischen Schafen gemacht und als Zöpfe in allen

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