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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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sie war plötzlich viel hübscher. Ihm fiel auf, dass sie bisher noch nicht gelacht hatte. Während des langen Gesprächs mit Daniel hatte sie nicht ein einziges Mal gelacht. Max erzählte offenbar etwas sehr Lustiges, ihr schmales, blasses Gesicht war ganz verwandelt vom Lachen.
    Und dann waren die beiden aufgestanden, immer noch lachend, und hatten das Pub verlassen, ohne einen Blick in Daniels Richtung zu werfen.
    Sein Herz klopfte vor Wut, er bestellte noch ein Bier, trank es aus und ging dann in ein anderes Pub, genau das, in das er von Anfang an hatte gehen wollen, das so nett und altmodisch aussah. Aber ein Türsteher hatte ihn gestoppt und einen eiskalten Blick auf ihn gerichtet:
    »Du kommst hier nie wieder rein, das weißt du.«
    Verblüfft war Daniel ins nächste Pub gegangen. Er hatte sich betrunken und viele Stunden später ein Taxi zur Wohnung von Max genommen. Aber als er klingelte, machte niemand auf, und er musste den Rest der Nacht auf einer Parkbank zubringen.
    Am nächsten Tag hatte Max gesagt:
    »Ich hatte recht. Sie ist Schwedin. Und Jungfrau.«
    Als Daniel geduscht hatte und das Rasierzeug hervorholte, um sich nach dem nächtlichen Besäufnis wieder in Form zu bringen, überlegte er es sich plötzlich anders und wischte den Rasierschaum mit heftigen Bewegungen wieder weg. Er würde sich nicht rasieren. Er würde sich einen Bart wachsen lassen. Er wollte nie wieder mit seinem Bruder verwechselt werden.

 
    11  »Hier«, sagte Max außer Atem, »das ist mein Lieblingsplatz.«
    Er zeigte mit der Angel auf eine Stelle und lief über die Steine zu einem still stehenden, teichähnlichen Teil des Wildbachs. Um sie herum schäumte das Wasser über kleine Absätze und bildete Wasserfälle.
    »Hier hinter den Steinen ist eine kleine Vertiefung. Da stehen sie ganz still. Man muss sie nur rausholen. Ich habe diesen Platz noch niemandem gezeigt. Du bist der Erste.«
    In den folgenden zwei Stunden waren sie vollauf mit dem Angeln beschäftigt. Für Daniel war es ungewohnt, aber er lernte schnell, und gegen Mittag war seine Wurftechnik ziemlich gut. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sein Bruder so gut angeln konnte.
    »Gibt es hier viele Touristen?«, fragte Daniel, als sie sich mit ihrem Proviant auf einem flachen Stein niedergelassen hatten.
    »Touristen? In Himmelstal?«
    Max reichte ihm ein belegtes Brot mit Schinken und lachte laut, als hätte Daniel etwas sehr Lustiges gesagt.
    »Ich meine, es ist doch so schön hier«, fügte Daniel hinzu.
    »Nicht schön genug. Das Tal ist eng und schattig, die Berge sind zu steil zum Skifahren oder Wandern. Nein, nach Himmelstal kommt man nicht, um etwas zu sehen. Man kommt her, um nicht gesehen zu werden.« Max öffnete eine Bierflasche und hielt den Verschluss fest, damit der Schaum nicht herausspritzte. »Dieses Tal ist ein Versteck.«
    »Ein Versteck?«
    Max trank einen großen Schluck. Er schaute über die Stromschnelle und sagte:
    »Dieses Tal ist schon seit dem Mittelalter ein Versteck. Hier gab es ein Kloster, in dem Aussätzige behandelt wurden. Genau da, wo jetzt die Klinik ist. Das Kloster gibt es nicht mehr, aber der alte Friedhof unten am Hang ist erhalten. Dort durften nur die Aussätzigen begraben werden, sonst niemand. Ausgestoßen bis in den Tod. Unrein.«
    Er nahm einen Tannenzapfen und warf ihn wütend in den Bach, wo er von einem Wirbel erfasst wurde und sich im Kreis drehte.
    »Eine böse Krankheit«, stimmte Daniel zu. »Ich könnte mir denken, dass es hier auch ein Sanatorium gegeben hat. Die Alpen sind ja voll von alten Sanatorien, aus denen man Hotels und Privatkliniken gemacht hat.«
    Max schnaubte.
    »O nein. Die Tuberkulosepatienten gehörten einer ganz anderen Klasse an. Die kamen nicht nach Himmelstal. Das war viel zu unzugänglich. Keine Eisenbahn. Erst seit den 1950er Jahren gibt es eine Autostraße.«
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Daniel beeindruckt.
    »Ich bekam eine Broschüre, als ich hier ankam. Im 19. Jahrhundert wurde aus dem Kloster eine Behindertenanstalt. Für Menschen mit Entwicklungsstörungen, Geisteskrankheiten und Behinderungen. Unerwünschte Individuen, die man verstecken wollte. Das Personal wohnte im Dorf oder in der Anstalt, sie waren praktisch Selbstversorger. Es muss eine eigene kleine Welt gewesen sein. Dann brannte alles bis auf den Grund nieder. Viele Patienten kamen um. Angeblich hat ein Patient den Brand gelegt.«
    Es entstand eine Pause, Max trank einen Schluck Bier, und vor Daniels innerem Auge

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