Himmelstal

Rucksacks.
    Nebelschleier zogen wie nasse Lappen durch das Tal. Von weit her hörte er Motorenlärm und sah, wie sich auf der größeren Straße ein Auto quer durch das Tal näherte. Das war natürlich die Straße, auf der er am ehesten eine Mitfahrgelegenheit bekommen würde. Aber der Wildbach schnitt ihm den Weg ab, und er hatte bisher noch keine Brücke gesehen. Die einzige Brücke lag im Osten, über die war er gefahren, als er ankam. Er müsste einige Kilometer zurückgehen, und dazu hatte er keine Lust. Es würde sicher noch eine Brücke kommen.
    Es begann wieder zu regnen, fein, aber ausdauernd. Auf der rechten Seite säumten kleine Wäldchen mit Laubbäumen den Weg. Aus einem Waldweg kam ein Traktor mit Anhänger herausgefahren. Traktor wie Anhänger waren ziemlich klein, von der Größe, wie man sie in Parks und Wohngebieten verwendete. Der Anhänger war hoch mit grob gehauenem Brennholz beladen.
    Daniel hielt das Gefährt an und sagte:
    »Ich bin auf dem Weg in die nächste Stadt. Können Sie mich ein Stück mitnehmen?«
    Der Mann im Traktor hatte einen schütteren Bart, graue, bis auf die Schultern hängende Haare und trug einen großen Cowboyhut. Daniel hatte ihn auf Deutsch angesprochen, bekam jedoch eine Antwort in amerikanischem Englisch:
    »Du bist wahnsinnig.«
    »Ich bin kein Patient, falls Sie das glauben sollten«, sagte Daniel ärgerlich.
    Der Mann auf dem Traktor betrachtete ihn misstrauisch.
    »Okay«, sagte er schließlich.
    Nun verstand Daniel die Skepsis des Mannes. In dem kleinen Traktor war nur Platz für eine Person, es gab keinen Beifahrersitz.
    Der Mann machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung Holzlast.
    Daniel ging um das Fahrzeug herum, kletterte hinauf, stellte sich ganz hinten auf den Rand und hielt sich an einer Eisenstange fest. Das Gefährt ruckte und fuhr los. Nach einer Weile machte die Straße eine Biegung, und es ging aufwärts. Daniel erkannte die Gegend. Hier hatten er und Max geangelt. Hinter den Tannen konnte er den Wildbach hören, er war hier breit und schäumend. Die Straße wurde steiler und unebener, das Gefährt rüttelte, und er konnte sich nur mit größter Mühe festhalten.
    Er hörte das Läuten der Kuhglocken, sie kamen an steilen Wiesen vorbei, auf denen die hellbraunen Kühe still im Regen standen und kauten. Sie waren jetzt ziemlich weit oben, in der Nähe der Geröllhalde. Um sie herum im Nebel standen Tannen, größer und schlanker und irgendwie eleganter als ihre schwedischen Verwandten.
    Dann blieb der Traktor stehen.
    Sie befanden sich bei einem Haus, das architektonisch
den Häusern im Dorf glich: Klappläden, Balkon mit geschnitztem Geländer. Dachverzierung wie aus Tortenspitze. Aber dieses Haus war pinkfarben angestrichen, mit Dekorationen in Neongrün, Knallgelb und Lila, außer den Fensterläden, die hatten ein welliges Zebramuster in Schwarz und Weiß. Auf dem Verandageländer war ein großes Schild mit handgemaltem Text angebracht: »Tom's Place«.
    Der Mann mit dem Cowboyhut kletterte aus dem Traktor. Daniel sprang auf den Boden und schaute sich um. Seine Finger waren ganz steif, weil er sich an der Eisenstange hatte festhalten müssen.
    Gegenüber vom Haus lag ein kleines Sägewerk, auf dem Hof war überall Brennholz aufgestapelt und verbreitete den aromatischen Duft von frischem Holz. Auf der Veranda standen groteske Holzskulpturen, die aus verdrehten Baumstümpfen geschnitten waren.
    Der Mann ging die Treppe hinauf ins Haus. Wollte er die Schlüssel für ein anderes Fahrzeug holen? Jemanden anrufen? Daniel wartete einen Moment, aber als der Mann nicht zurückkam, folgte er ihm.
    Er kam in einen Raum, der vielleicht einmal ein Wohnzimmer gewesen war, aber nach und nach in eine Werkstatt verwandelt worden war. Zwischen schmutzigen Polstermöbeln stand eine Werkbank, der abgetretene Perserteppich war mit Säge- und Hobelspänen bedeckt.
    Auch hier gab es diese eigenartigen Holzskulpturen, und im hinteren Teil des Raums standen jede Menge Baumstümpfe, die vermutlich auch einmal Skulpturen werden sollten. Der Nebel und die Tannen machten das Zimmer dunkel wie am Abend. Es war kühl und roch nach abgestandenem Zigarettenrauch.
    »Willst du mir was verkaufen?«, fragte der Mann mit dem Cowboyhut. Er saß in einem Sessel, aus dem zerrisse
nen Stoff schaute die Füllung heraus wie Moos aus einer Felsspalte.
    Daniel schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Ich will nur eine Mitfahrgelegenheit.«
    Der Mann schnaubte und nahm den Hut ab. Er trug ein