Himmelstal
Schlüssel vom Tresen, drückte ihn Daniel ärgerlich in die Hand, als ob es Abfall wäre, den Daniel liegengelassen hatte, und ging mit raschen Schritten davon.
Die Hostess lächelte Daniel an. Jetzt schien sie keine Angst mehr zu haben.
»Genau, ein Taxi sollte ich rufen«, sagte sie keck, stellte sich aufrecht hin und hob die Hand zum Gruß. »Aber selbstredend. Auf der Stelle.«
Sie lachte laut über ihren kleinen Sketch.
Dann nahm sie in aller Ruhe die Arbeit an ihren Papieren wieder auf.
22 Daniel war ziemlich erstaunt über die Reaktion des Personals. Zunächst war er erleichtert gewesen, dass die Hostess die Angelegenheit nicht so ernst nahm. Er hatte sich vorgestellt, dass er zur Klinikleitung gerufen, befragt und ordentlich zurechtgewiesen würde. Das wenig beeindruckte Benehmen der Hostess und ihre Weigerung, ihm mit einem Taxi zu helfen, war so erstaunlich, dass nur eines möglich war: Sie glaubte ihm nicht.
Daran war er selbst schuld. Eine Woche lang hatte er alles getan, um sie hinters Licht zu führen, und nun musste er einfach einsehen, dass ihm das nur zu gut gelungen war.
Jetzt hatte er wenigstens gesagt, wie es war, und es war jetzt nicht mehr sein Problem, ob man ihm glaubte oder nicht. Er wollte nicht eine Minute länger in dieser Klinik bleiben. Und er würde auch keine weiteren »Tests« über sich ergehen lassen. Himmelstal war vielleicht in gewisser Hinsicht eine Luxusklinik, aber um die Sicherheit der Patienten war es empörend schlecht bestellt. Es war vermutlich ein Versehen, dass er und Marko nachts ohne Personal auf einer geschlossenen Abteilung zurückgelassen wurden, und es war Pech, dass der Brand ausgerechnet dann ausbrach, aber trotzdem. So etwas durfte in einem Krankenhaus nicht passieren. Und einen Feuermelder durfte man nicht ausschalten können.
Das Personal hatte bisher noch keine Entschuldigung vorgebracht, und er hatte nicht vor, darauf zu warten. Wenn man ihm in der Klinik nicht helfen wollte, dann musste er jemanden im Dorf bitten.
Auf dem Weg durch den Park begegnete ihm ein Mann mit einem Tennisschläger in einer Schlägerhülle. Er lächelte Daniel freundlich zu und rief: »Kommst du mit auf ein Spiel?«
»Tut mir leid, nettes Angebot«, sagte Daniel. »Aber ich bin gerade auf dem Weg.«
»Das sind wir alle. Aber bis dahin amüsieren wir uns, so gut es geht, nicht wahr?«
Daniel nickte und ging weiter den Hang hinunter.
Unten im Dorf blieb er am Springbrunnen stehen und betrachtete unschlüssig die Gassen mit dem Kopfsteinpflaster, die strahlenförmig von dem kleinen Platz wegführten. Wohin sollte er gehen? Hannelores Bierstube war der einzige Ort, den er bisher besucht hatte, und die war um diese Tageszeit nicht geöffnet. Er sah ein kleines Geschäft und beschloss, hineinzugehen.
Das Sortiment des Geschäfts war ausgesprochen vielfältig. Da gab es Regale mit Lebensmitteln, Kosmetika und CD s, und an einem Gestell hingen Kleider auf Bügeln. Ein breitschultriger Mann stand gelangweilt in einer Ecke. Er zeigte keinerlei Interesse an Daniel, aber ganz offensichtlich war er der Verkäufer.
»Entschuldigung«, sagte Daniel. »Ich müsste unbedingt in die nächste Stadt. Ich habe verstanden, dass es hier keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Meinen Sie, dass mich jemand mitnehmen könnte? Natürlich gegen Bezahlung.«
Der Verkäufer zupfte an einigen T-Shirts auf einem Regal und dreht sich dann langsam um. Er stand breitbeinig vor Daniel, die kräftigen Arme hatte er verschränkt, er kaute eine Weile auf seinem Kaugummi herum, und sagte dann:
»Möchtest du etwas kaufen?«
Er kam ihm bekannt vor, aber Daniel konnte nicht sagen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Wahrscheinlich in der Bierstube.
»Einkaufen? Nein, aber …«
»Das ist ein Laden. Wenn du nichts kaufen willst, gehst
du am besten wieder«, sagte der Verkäufer und zeigte auf die Tür.
Sein Hemdärmel glitt nach oben, auf dem Unterarm war eine Tätowierung zu sehen. Und nun wusste Daniel auch, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Er hatte im Sportstudio der Klinik mit den Hanteln trainiert. Ein Patient, der im Dorfladen bediente? Oder durfte die Dorfbevölkerung das Sportstudio nutzen?
Daniel verließ den Laden.
Es hatte zu regnen aufgehört, aber der Himmel war immer noch dunkel. Die Straßen waren leer. Er folgte der Hauptstraße aus dem Dorf hinaus. Er schlug die Kapuze hoch, er marschierte los und umfasste mit einem festen Griff die Trageriemen seines
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