Himmelstiefe
arbeitete und machte sich zur Abwechslung wohl mal keine übermäßigen Sorgen.
Ich zog mir mein Schlafshirt über und legte mich in mein Bett. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich war todmüde, seelisch, geistig, körperlich. Mein Buch, das ich heute früh wieder aufs Bett gelegt hatte, fiel herunter, als ich die Decke unter mein Kinn zog. Ich beugte mich zur Seite und hob es auf. Es blinkte schon wieder. War es kaputt? Ich schlug es auf. Es hörte auf zu blinken. Ich klappte es zu. Es blinkte wieder. Ich schlug es noch einmal auf und zog die Leselampe heraus. Mein Blick fiel auf die Zeile, in die man Begriffe für die Suche eingeben konnte. Da stand etwas:
komm zu pio! atropa
Im selben Moment war ich wieder hellwach. Augenscheinlich versuchte Atropa seit gestern, Kontakt zu mir aufzunehmen. Ich suchte den dunklen Raum ab. War da ein milchiger, nebelartiger Schwaden vor dem Fenster? Oder war das meine immense Müdigkeit?
„Atropa?“, rief ich ängstlich und starrte in die Zimmerecke, in die der neblige Schwaden verschwand. Mit zittrigen Händen löschte ich den Text in der Zeile und schrieb:
Okay.
Das Buch hörte auf zu blinken. Ich war noch nicht sicher, ob ich wirklich zu Pio gehen wollte, um mit Atropa zu chatten. Ich schrieb es nur, weil ich Angst hatte. Mit aufgerissenen Augen saß ich im Bett. In meinem Zimmer war alles still und friedlich. Keine Nebelschwaden mehr. Vielleicht fanden sie doch nur vor meinen übermüdeten Augen statt, die den ganzen Tag auf eine Farbe gestarrt hatten. Und wenn es doch Atropa war? Mit Atropa chatten, völlig in Ordnung. Aber meine Chatfreundin und der Geist, das waren irgendwie zwei verschiedene Dinge. Sie sollte nicht als paranormale Erscheinung durch die Dunkelheit meines Zimmers qualmen. Das musste ich ihr noch mal klarmachen. Ich fiel in die Kissen und meine tiefe Müdigkeit nahm es mir zum Glück ab, weiter über diese Probleme nachzugrübeln.
Teil III
Ein Knall weckte mich. Dann ein grelles Licht. Die Sonne strahlte genau in mein Gesicht, weil ich die Vorhänge nicht zugezogen hatte. Neve stand vor meinem Bett und entschuldigte sich dafür, dass sie meine Tür gegen die Wand knallen lassen hatte. Ihr war die Klinke aus der Hand gerutscht. Sie wirkte aufgeregt. Ihre Stimme klang atemlos.
„Du hast verpennt. Es ist schon zehn vorbei. Aber ist nicht so schlimm. Heute fallen vormittags erst mal alle Seminare aus oder werden verschoben. Ihr sollt aber trotzdem in die Akademie kommen …“
„Was ist denn passiert?“ Ich blinzelte sie an und versuchte, wach zu werden.
„Ein ganz normaler Mensch ist in die magische Welt eingedrungen. Und er ist lebendig.“
„Was?“ Ich dachte sofort an die Möglichkeit, Leute ohne magische Begabungen einzuschleusen, von der Leo gesprochen hatte. Hatte es was damit zu tun? Aber so schnell? Ich versuchte mich aufzurichten, aber meine Arme knickten weg. Ich landete wieder auf dem Rücken.
„Er ist durch den magischen See gekommen. Kim hat ihn heute Nacht gefunden. Er hat überhaupt keine Fähigkeiten, keine Symptome, nichts. Aber er lebt. Es geht ihm gut. Der Rat ist deswegen ziemlich in Aufruhr.“
„Durch den See?“ Es gelang mir, mich hinzusetzen.
„Ja, aber kein bisschen Affinität zu Wasser oder sonst irgendeinem Element. Man vermutet, es hat mit der Seuche zu tun, die unter den Undinen grassiert. Viele sind krank. Gestern gab es den ersten Todesfall. Wahrscheinlich bewachen sie deshalb den Durchgang nicht mehr richtig.“
„Ach so …“, entfuhr es mir und bezog sich auf den Gedanken, dass es dann wohl nichts mit der hoch geheimen Möglichkeit, in die magische Welt einzudringen, zu tun hatte.“
Neve sah mich verständnislos an.
„Wieso, ach so … Was hast du denn erwartet?“
„Äh, gar nichts. Ich bin nur durcheinander. Ich … kann noch nicht denken. Ich bin einfach völlig zerschlagen von der Arbeit am Wochenende.“
Ich rieb mir die Augen und machte ein entschuldigendes Gesicht. Neve glaubte mir.
„Na, dann kommt dir ein Schon-Tag bestimmt ganz recht. Ab mittags gibt es aber wahrscheinlich wieder Seminare – wenn der Rat durch ist mit der Beratung. Geh am besten erst mal ins Café.“
Neve verschwand. Ich quälte mich aus dem Bett. Ich fühlte mich verkatert, als wäre ich die ganze Nacht auf einer Party gewesen. So ähnlich war es ja auch.
Ich dachte an den leidenschaftlichen Kuss mit Leo und bekam den üblichen Stich in der Herzgegend. Ich schlich unter die Dusche. Danach ging es
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