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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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stehen, doch Jerome bemerkte es nicht, weil er plötzlich nach rechts in den Wald abbog. Tim lief vor mir. Ich setzte mich wieder in Bewegung. Okay, Jerome hatte ein anderes Ziel. Doch welches, so kurz vor den Klippen? Beim ersten Mal war mir kein Abzweig aufgefallen. Dann wurde mir langsam klar, wohin uns Jerome brachte. Rotes Licht schimmerte durch die Bäume. Nach einigen Schritten standen wir vor dem Eingang einer Höhle, die in ein mächtiges Bergmassiv führte, obwohl es hier oben auf der Klippe eigentlich kein weiteres Bergmassiv geben konnte. Wir befanden uns auf dem Weg zu Jeromes persönlichem Ort, den nur er kannte und in den ihm nur folgen konnte, wen er mitbrachte. Deshalb hatte er sich auf unserer Flucht hierher dauernd umgedreht und in den Wald gehorcht.
    Der Eingang der Höhle wirkte unspektakulär. Man konnte ihn fast übersehen. Von dort führte ein Gang einige Meter tief in den Berg hinein, der sich am Ende zu einer beeindruckenden Grotte öffnete. Die Grotte war übersät mit Diamanten, die weiß und blau funkelten. In großen Felsnischen brannten Fackeln, die ein sehr warmes und gemütliches Licht verbreiteten. Besonders beeindruckend war ein kleiner türkisfarbener See, in dem sich das Glitzern und Funkeln der Stalaktiten wiederspiegelte. An seinem Ufer lagen zwischen einzelnen, mächtigen Stalagmiten weiche Felle und brannten einige große rote Kerzen.
    Tim und ich standen einige Momente da, fest die Hände ineinander verschränkt und starrten auf diese unglaubliche Pracht.
    „Es gefällt dir …“, bemerkte Jerome.
    „Es ist der Ort deiner Seele …“, antwortete ich.
    „Ganz recht. Hier sind wir sicher. Zumindest für eine Weile.“
    Ich sah Jerome fragend an.
    „Der Rat ist befugt, diese Orte aufzuspüren, wenn es sein muss. Aber es dauert eine Weile, sie wirklich zu finden.“
    „War schon mal jemand vom Rat hier?“
    Ich bemerkte, dass Jerome kurz mit der Antwort zögerte. Dann sagte er ein wenig zu entschlossen:
    „Nein!“
    Wir stiegen die steinernen Stufen hinab. Trotz des warmen Lichtes fröstelte ich. Ich ließ Tims Hand los, um den Reißverschluss meines verbrannten Sweatshirts zuzuziehen. In dem Moment sprang eine Gestalt auf mich zu, packte meine Hand, riss mich an sich, umschlang mich fest mit seinen Armen und flüsterte in mein Haar:
    „Da bist du ja endlich. Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.“
    Ich atmete den schweren Duft von Leo ein und registrierte, dass irgendeine primitive Seite in mir diese Umarmung für einen kurzen Moment genoss. Ich versuchte, mich loszureißen, aber ich hatte, ganz im Gegensatz zu Tim, keine Chance. Leo war mir gewachsen, zumindest, wenn ich nicht all meine Kräfte zusammenballte, die ich besaß. Doch dazu würde ich in so kurzer Zeit nicht noch einmal in der Lage sein.
    Endlich ließ Leo mich los. Ich hielt den Kopf gesenkt und wagte es nicht, Tim anzusehen.
    „Hallo, ich bin Tim“, hörte ich ihn sagen. Er streckte Leo die Hand hin. Leo nahm Tims Hand nicht.
    „Leo“, sagte er nur. „Kira hat bestimmt schon von mir erzählt.“
    „Nein, das hat sie nicht“, sagte er sehr langsam, aber beherrscht.
    „Wir hatten allerdings auch kaum Zeit dazu.“ Unsere Blicke trafen sich.
    Ich stand jetzt genau zwischen Tim und Leo.
    Es ist nicht so, wie du denkst , wollte ich ausrufen, aber das war der blödeste Satz, der einem in so einer Situation einfallen konnte.
     „Ich habe dir von Tim erzählt!“, erklärte ich Leo mit einem leicht drohenden Unterton.
    „Oh ja, das hast du … ein kleiner Teil deiner Vergangenheit.“
    Leo legte viel Nachdruck auf das letzte Wort.
    „Tim ist hier … wegen mir.“
    „ …Was sehr dumm von ihm ist. Oder auch schlau. Es wird ihm helfen, dich zu vergessen.“
    Da war es wieder, das Boshafte, das meinen ersten Eindruck von Leo geprägt hatte. Es war also noch da. Diese Seite kam hervor, wenn man nicht mitspielte, so wie man sollte. Andererseits, er war verletzt. Ich hatte ihn verletzt, wahrscheinlich sehr. Ich spürte die Kraft, die von ihm ausging und ich dachte mit Schrecken an meine eigene Kraft, die Tim zu einem Blatt im Wind machte.
    „Ich werde Tim hier rausbringen. Und zwar unversehrt!“, sagte ich bestimmt und warf Leo einen entschlossenen Blick zu. Leo konnte ihn verstehen, wie er es wollte: dass ich Tim nur in Sicherheit bringen wollte, um dann mein neues Leben zu leben, wie es mir angemessen war – zusammen mit einem Partner, der mir ebenbürtig war. Oder dass ich ihn unversehrt

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