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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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und setzte mich gehorsam wieder hin. So hatte er noch nie mit mir gesprochen.
    Jerome entschuldigte sich sofort wieder und schlug seinen gewohnt sanften Ton an:
    „Tut mir leid, aber auch mir gehen mal die Nerven durch. Ich wollte dich herbringen, Kira, mithilfe der Schatten und ohne, dass es der Rat bemerkt. Ich hatte dich beobachtet. Du warst mir aufgefallen. Wir sind längst dabei, Menschen in der realen Welt zu begleiten, bei denen die Fähigkeiten erwachen. Ich habe gesehen, dass du mehrere Talente hast. Ich wollte dich von vornherein vor Schwierigkeiten bewahren. Ich weiß, die Schatten sind unheimlich, wenn man sie nicht kennt. Du wärst hier in Sicherheit gewesen. Wir hätten dich ausgebildet. Alles wäre schneller gegangen. Du hättest gleichzeitig nach Hause gekonnt. Du wärst den Regeln der Akademie nicht unterworfen gewesen. Aber du bist uns entwischt … zwei Mal … und dann warst du plötzlich hier, vor deiner Zeit. Du bist durch das magische Wasser gekommen, weil die Abschirmung dieses Durchgangs bröckelt. Und das ist gut so. Seit dein …“ Jerome suchte nach einem passenden Wort: „ …Schulkamerad auch durch den See gekommen ist, wissen wir, dass es inzwischen auch Menschen schaffen. Es gelingt. Bald werden die Durchgänge weiterer Elemente durchlässig werden. Mit deiner Kraft Kira, kann uns niemand mehr aufhalten. Deswegen müssen wir dich in Sicherheit bringen, noch in dieser Stunde.“
    Igor stieß mich ab, aber gleichzeitig tat er mir leid. Das Schicksal all dieser Leute tat mir leid und überlagerte meine Enttäuschung, dass ich so lange nicht Bescheid gewusst hatte. Aber ich konnte Jerome daraus keinen Vorwurf machen. Alles, was er sagte, klang logisch. Endlich verstand ich, was passierte. Auch, warum ich alles jetzt erst erfuhr. Jerome wollte mein Vertrauen. Und er konnte uns rausbringen. Allerdings, warum redete er immer nur von mir und behandelte Tim die meiste Zeit, als wäre er nicht vorhanden? Ich griff nach Tims Hand. Im selben Moment feuerte Leo einen vernichtenden Blick auf mich ab.
    „Okay, wir sind bereit“, erklärte ich.
    „Dieser Typ wird dich nicht begleiten“, zischte Leo.
    „Leo, bleib ruhig“, sagte Jerome in einem befehlenden Ton. Dann wandte er sich an mich.
    „Tim muss hier bleiben. Ich werde ihn an den Rat übergeben. Der Rat muss mir weiter vertrauen, verstehst du. Ich werde ihnen sagen, dass ich Tim erwischen konnte, aber du mir entkommen bist. Das ist glaubwürdig. Alles hängt davon ab, dass der Rat nicht zu schnell hinter das kommt, was wir planen.“
    Ich zitterte. Was Jerome sagte, war nachvollziehbar. Trotzdem sträubte sich alles in mir, ich wollte Tim nicht opfern, um keinen Preis.
    „Aber sie werden seine Erinnerungen löschen!“, begehrte ich auf.
    Jerome sah mich nur an. Leo nickte und glaubte, er müsse mir im selben Tonfall wie Jerome, auch noch etwas erklären:
    „Das ist das Beste für ihn. Du kannst eh nicht mit ihm zusammen sein. Er ist dir nicht gewachsen. Und das weißt du.“
    Tim hatte die ganze Zeit mit regungsloser Miene dagesessen. Er sah erschöpft aus. Ehe ich Leo kontra geben konnte, meldete er sich zu Wort:
    „Dein Freund hat recht. Wir haben keine Chance. Lass es so geschehen, wie Jerome sagt. Und mach dich endlich auf den Weg. Bring dich in Sicherheit. Das ist das Wichtigste.“ Tim erhob sich.
    „Ich hätte nur gern …“, seine Stimme versagte ihm ihren Dienst. Ich kapierte, dass er gegen Tränen ankämpfen musste. Mein Herz tat weh. Leo verkniff sich ein Grinsen. Ich war kurz davor, ihm an die Gurgel zu springen.
    „ …noch eine Minute mit Kira allein … um mich zu verabschieden. Ich werde schließlich … bald … nicht mehr wissen … wer sie ist.“
    Jerome, Leo und Igor wechselten Blicke. Ich bemerkte Unruhe an dem kleinen Höhleneingang neben dem See. Dort standen jetzt Leute. Der magische Geheimbund. Ein dutzend blasser Gesichter. Sie waren alle hier.
    „Eine Minute“, sagte Jerome. „Wir haben nicht viel Zeit.“
    Leo wollte aufbegehren. Doch Jerome befahl ihm mit einer Handbewegung, ruhig zu sein und sich zurück zu ziehen. Sie gingen zu den anderen hinüber und zogen sich in die Nebenhöhle zurück.
    Auf einmal herrschte Totenstille. Nur ein leises Klingeln war zu vernehmen, wenn sich kleine Tropfen von einem Stalaktitenlösten und in das Wasser des Sees fielen. Niemand war mehr zu sehen. Trotzdem war ich mir sicher, dass wir beobachtet wurden. Wir standen uns gegenüber. Tim nahm meine beiden Hände.

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