Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
Vom Netzwerk:
ihn. „Wir müssen zu Jerome. Sofort! Er ist der einzige, der eine Möglichkeit weiß, uns hier rauszubringen, nach Hause.“
     „Jerome? Der Typ aus dem Rat?“
    „Ja. Er hat mir bis jetzt immer geholfen. Los!“
    Ich klang zuversichtlicher, als ich war. Aber wenn Jerome wirklich ein Freund war, durfte er nicht von mir verlangen, sich gegen mein Herz zu entscheiden.
    Ich hörte ein anschwellendes Grummeln in den Tiefen des Waldes. Das bedeutete nichts Gutes. Ich zog mir Tim wie einen nassen Sack auf den Rücken und bemerkte, wie er die Zähne zusammenbiss, um keine Schmerzenslaute von sich zu geben. Ich schwang mich in die Luft. Der Abflug klappte inzwischen spielend leicht. Tim gab einen erstaunten Laut von sich. Als wir durch die Schneise gebraust waren, war er wohl ohnmächtig gewesen. Wir erhoben uns über die Baumwipfel. Das Gebäude der Akademie lag genau vor uns. Ich wählte einen Umweg und flog in die entgegengesetzte Richtung. Wir mussten das Gebiet weiträumig umfliegen, aus dem Mitglieder des Rates zum Grünen Raum unterwegs würden. Am Horizont zog die Dämmerung mit einem schmalen Streifen Lila auf, aber es war zum Glück noch dunkel. Ich hoffte inständig, dass Jerome nicht ebenfalls auf dem Weg in den Grünen Raum war. Wir flogen einen weiten Bogen, entlang der Feuerdurchgänge am Horizont. Das letzte Stück vor Jeromes Haus landeten wir im Wald. Tim schwankte, als wir wieder Boden unter den Füßen hatten.
    „Alles in Ordnung?“
    „Nichts ist in Ordnung.“ Er versuchte, ironisch zu klingen und ein Lächeln, aber beides gelang ihm nicht. Es gab mir einen schmerzlichen Stich in mein Herz. Wahrscheinlich war ihm jetzt klar, wie wenig wir zusammen passten. Er würde nicht länger mit einem fliegenden Monster, das ihm immer wieder mit Feuerstürmen zusetzte, zusammen sein wollen. Tim stand vor mir und bewegte seine Beine.
    „Meinst du, du kannst laufen?“
    „Ich denke schon.“
    „Ich bringe dich hier raus. Das bin ich dir schuldig.“
    Ich nahm Tims Hand und zog ihn durch den stockfinsteren Wald. Er stolperte hinter mir her, über jeden Stein und jeden Ast. Natürlich, er konnte mit seinen normalen Augen nichts sehen, während mir alle Umrisse deutlich in einem graublauen Licht erschienen, als hätte ich mir eine Infrarotlampe auf die Stirn geschnallt.
    „Wie machst du das nur?“, hörte ich ihn fragen und war dankbar, dass seine Stimme wieder halbwegs normal klang.
    „Dass nichts an mir normal ist, wird dir ja nicht entgangen sein.“
    „Das Plakat. Du hast die Anschrift tatsächlich gesehen … auf der anderen Straßenseite“, fiel ihm auf einmal ein.
    Ich nickte und dachte nicht daran, dass er es ja nicht sehen konnte. Wieder durchfuhr mich ein Stich. Meine Erinnerungen mit Tim in den Tagen, als ich noch nicht wusste, was mit mir passierte, waren die schönsten meines Lebens.
     
    Ich sah Jeromes Haus durch die letzten Baumstämme vor uns schimmern. Im Erdgeschoss brannte Licht. Gott sei Dank! Er schien zu Hause zu sein. Plötzlich schnellte ein Arm hinter einem Baum hervor und packte mich an meiner freien Hand. Dann ein Gesicht, dicht vor mir:
    „Kira … nicht schreien … Ich bin es, Jerome. Ich habe gehofft, dass du herkommst.“
    „Jerome!“ Dankbar fiel ich ihm in die Arme. Ich konnte nicht anders. Ich war so froh, dass er da war. Im richtigen Augenblick, am richtigen Ort. Er hatte auf mich gewartet. Er würde mir helfen!
    „Nicht zu meinem Haus. Es ist zu gefährlich. Ich bin nicht zum Grünen Raum geeilt, als der Rat alarmiert wurde. Und ich bin dein Mentor. Nachdem sie bei dir waren, werden sie als nächstes in meinem Haus nach uns suchen.“
    Ich wusste nicht, wie der Rat untereinander kommunizierte, aber es war auch nicht der Moment, danach zu fragen. Jerome bedachte Tim nur mit einem kurzen, musternden Blick. Das war alles. Es war unverkennbar, dass er nicht gerade glücklich über seine Anwesenheit war.
    „Kommt“, sagte er und wir folgten ihm wieder tiefer in den Wald.
    ***
    Ich erkannte die Kreuzung wieder, an der ich damals mit Neve zu den Äther-Übergängen abgebogen war. Es kam mir so vor, als wäre das eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Jerome schlug den Weg dorthin ein. Eine böse Ahnung ergriff mich. Hatte Jeromes geheime Möglichkeit zu entkommen, etwas mit diesen schaurigen Abgründen zu tun, in deren Tiefe der Himmel von Berlin fahles Licht abgab? Nichts würde mich bewegen, dort jemals hinein zu springen. Nichts. Ich blieb

Weitere Kostenlose Bücher