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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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ihr zu gehorchen. Ich schwamm entschlossen auf die Undinen zu, als hätte ich vor, durch sie hindurch zu schwimmen.
    „Kehr um, Kehr um, kehr um“, summten sie in einem Sprechchor. Das Summen wurde immer höher und fing an, in den Ohren weh zu tun. Ich ließ mich nicht beirren, bis ich die ersten Undinen mit meinen Händen berührte. Sie fühlten sich weder kalt, noch glitschig an, sondern glatt, warm und samtig. Ich musste sofort an die Haut von Minchin denken. Nicht mal eine Fischhaut war es, die Tim mit nach Hause nehmen musste. Sie würde es so leicht mit ihm haben.
    Ich holte mit den Händen aus und machte kräftige Schwimmbewegungen in die Richtung des Lichts, das ihre Körper jetzt vollständig verbargen. Ich schlug ihnen dabei ins Gesicht. Zuerst schienen sie tatsächlich zurückzuweichen, doch dann spürte ich ein peinvolles Brennen an allen Stellen meines Körpers, mit denen ich sie berührt hatte. Eines der Gesichter waberte direkt vor mir und ich erschrak. Es hatte kreideweiße Haut, fast schwarze Ringe unter den Augen und wenn es Wasser ausatmete, war es mit dünnen, dunkelroten Schlieren vermischt. Diese Undine war definitiv krank. Sie machte mir Angst. Ich ruderte nur noch schneller. Der „Kehr um“- Gesang drohte mir, das Trommelfell zu sprengen. Ich sah auf meine Hände vor mir. Ein feines Netz aus grauen Fäden begann sich darüber zu spannen. Das war es, was so brannte. Die Undinen webten ein Netz um mich. Sie wollten mich damit einfangen wie einen Fisch. Das durfte ich nicht zulassen. „Besinn dich deiner Kräfte, verdammt!“, hörte ich Atropa. Und im selben Moment fand ich endlich zu meiner Konzentration. Das Feuer des Verlustes, das in meinem Herzen wegen Tim brannte, brachte ich als Glühen auf meine Hautoberfläche, so dass das Netz wie feiner Ruß von mir abblätterte. Der Gesang wurde unregelmäßig. Ich schoss in die Tiefe und sah den Schwarm Undinen vor dem Licht tanzen wie Silhouetten hungriger Haie. Sie kamen nicht gleich hinterher. Mit einer Flucht in die entgegengesetzte Richtung hatten sie augenscheinlich nicht gerechnet. Ich konzentrierte meine ganze Ohnmacht gegenüber Minchin auf das tiefe Blau unter mir. Ich hatte erfahren, dass Ohnmacht besonders starke Reaktionen bei den Elementen hervorrief.
    Erst passierte nichts. Versagte ich etwa? Wirkten meine Erdkräfte im Wasser nicht? Bei Menschen mit nur einem Element war das so, aber ich hatte bereits erfahren, dass ich die Kräfte der Elemente kombinieren konnte. Darauf hatte ich vertraut.
    Zwei Undinen rasten jetzt auf mich zu. Für einen Moment war ich überrascht und konnte mir keinen Reim darauf machen, was sie vorhatten. Dann sah ich, dass sie eine dritte Undine zwischen sich zogen. Sie hing schlaff in ihren Armen und zog einen kräftigen roten Schweif hinter sich her. Sie flitzten knapp an mir vorbei. Es war ein Notfall. An mir hatten sie keinerlei Interesse. Vielleicht die Undine, die ich so dicht vor mir gesehen hatte? Das Sterben unter den Undinen. Ich sah es zum ersten Mal mit eigenen Augen. Es musste schlimm sein. Trotzdem bewachten sie nach wie vor die Durchgänge. Jerome irrte sich, dass die Undinen sich nicht mehr darum kümmerten. Ich kam mir auf einmal egoistisch vor, ihnen zusätzlichen Ärger zu machen und bereute, was ich gerade getan hatte. Denn mein Vorhaben zeigte Erfolg. Die schwarze Bläue unter mir färbte sich erst weinrot, dann krapprot und dann feuerorange. Der Boden des Sees war aufgerissen. Von unten stieg eine immense Druckwelle auf. Sie saugte das Wasser in einen Trichter. Ich drehte mich darin immer schneller an die Oberfläche. So schnell, dass es den Undinen nicht gelang, mich noch aufzuhalten. Sie wurden voneinander weggerissen und versuchten, dem Strudel zu entkommen. Ihr Sirren durchdrang die Moleküle des Wassers. Ich presste die Hände gegen meine Ohren.
    Plötzlich atmete ich wieder Luft und knallte ziemlich unsanft auf kaltes, hartes Kopfsteinpflaster.
    ***
    Ich vernahm ein tiefes Stöhnen und brauchte einige Sekunden bis ich realisierte, dass es von mir selbst kam. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, weil ich Angst vor der Entdeckung hatte, in alle Einzelteile zerschmettert worden zu sein. Ich öffnete die Augen. Neben mir war ein gusseisernes Geländer. Dahinter ging es drei bis vier Meter in die Tiefe. Schwarz und träge floss die Spree dicht neben mir dahin. War ich aus der Spree gekommen? Es sah ganz so aus. Fades Licht schimmerte auf den Pflastersteinen. Ich lag direkt unter

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