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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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einer Straßenlaterne. Es war inzwischen dunkel geworden. Am Horizont zeigte sich nur noch ein schmaler Streifen lila. Meine Sachen waren komplett trocken. Allerdings lag ich auf einem nassen Gehweg, was von dem Nieselregen kam, der auf mich herab fiel. Ich bewegte meine Finger. Sie taten weh, aber sie waren alle noch heil. Ganz behutsam versuchte ich mich aufzurichten. Es gelang mir besser, als ich angenommen hatte. Ich stützte mich erst auf die Ellenbogen, dann auf die Knie. Dann hockte ich mich auf die Fersen. Ich war in Ordnung, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Ein paar Meter weiter führte die Friedrichsbrücke über den Fluss und auf der gegenüber liegenden Seite ragte der Dom in den Himmel. Ich war zurück. Ich konnte es kaum fassen. Ich war tatsächlich zurück! Es gab also einen zweiten Durchgang durch die Spree, hier, mitten in der Stadt, an der Friedrichsbrücke. Plötzlich meinte ich mich zu erinnern, dass sich hier manchmal Leute mit schweren Steinen in den Taschen ins Wasser stürzten. Irgendwo hatte ich davon gelesen. Nun wusste ich, warum. Instinktiv stolperte ich ein paar Schritte von der Spree weg. Waren da noch die Undinen? Würden sie versuchen, mich wieder hinein zu ziehen? Ich schleppte mich zu einem Hauseingang und verbarg mich in seinem Schatten.
    Meine Gedanken rasten. Der Rat, Jerome und seine Leute – Wie schnell würden sie mich finden? Wer wusste was? Jerome hatte meine Spur bis zum See verfolgt. Ihm war klar, dass ich versuchen würde, durch das Wasser zu entkommen, weil er glaubte, dass die Durchgänge nicht mehr geschützt waren. Sie konnten die Undinen ausfragen. Und warum sollten sie nicht erzählen, dass ich es geschafft hatte?!
    Jerome würde als erster hier sein. Ich musste weg, so schnell wie möglich. Ich begann zu laufen, Richtung Alexanderplatz, instinktiv Richtung nach Hause. Ich rannte und fühlte mich dabei langsamer als eine Schnecke. Mein Vorankommen auf natürlich menschliche Art kam mir total lächerlich vor. Waren meine Kräfte hier zu gebrauchen? Würde ich sie im Griff haben? Oder würden sie mich sofort verraten? Ich musste es versuchen. Ich konzentrierte mich auf Äther und Wind. Unsichtbar und fliegend würde ich am schnellsten sein. Ich spürte, wie eine leichte Brise aufkam. Aber sie war viel zu leicht. Ich suchte Zuflucht unter einer Kastanie, die ihre letzten, von Miniermotten zerfressenen braunen Blätter abwarf und konzentrierte mich weiter. Niemand war auf der Straße. Ich sah nur die Lichter einzelner Autos vorbeifahren, überwiegend Taxis. Vielleicht sollte ich ein Taxi nehmen? Aber wohin sollte es mich bringen? Ich brauchte einen Plan. Plötzlich rieselte es durch meine Adern, als würde darin kein Blut fließen, sondern feiner Sand. Der Wind frischte auf. Mir wurde übel und ich bekam Angst. Natürlich hatte es seinen Grund, dass man ohne abgeschlossene Ausbildung nicht in der realen Welt herumtoben sollte. Ich konnte die Wirkung meiner Kräfte hier kaum einschätzen, weil ich mich damit bisher noch kein bisschen beschäftigt hatte. Ich versuchte, ruhig zu werden, die Elemente ruhen zu lassen, aber es gelang mir nicht. Das Rieseln wurde stärker, als würde es meine Adern verstopfen. Ich schlotterte am ganzen Körper. Ich wollte schreien, aber es ging nicht. Ich löste mich auf. Es war ein entsetzliches Gefühl. Musste ich sterben? Etwas zog mich in die Länge, immer länger und länger, als wäre ich Kaugummi. Meine Füße verloren den Kontakt zum Boden und ich hob ab. Mir war, als wickelte ich mich um den Baumstamm der Kastanie. Dann wickelte ich mich wieder zurück. Ich stieg auf und prallte gegen Häuserwände und Fensterscheiben. Es klirrte gewaltig. So würde es nicht lange dauern, bis Leute auf mich aufmerksam wurden und die Polizei riefen. Die Polizei fehlte mir gerade noch. Die Gefahren der realen Welt waren so weit weg gewesen. Ich sah mich und war gleichzeitig der Wind, ein langgezogener, menschlich aussehender Wind. Ich war eine unwirkliche Drogenerscheinung. Ich wusste, dass das nicht sein durfte. Aus solchen Gründen wurden die Fähigkeiten von Leuten gelöscht. Weil sie auffällig waren in der Welt. Auf einmal verstand ich es sogar. Was würde ich machen, wenn mir auf der Straße lang gezogene Gespenster begegneten, die nachweislich vorhanden waren? Ich dachte sofort an Forschungslabore und Experimente. Was für eine Qual für die Betroffenen, zumal sie völlig sinnlos war, denn keinem Wissenschaftler würde mit seinen

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