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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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meine Richtung. Igor, Jerome und Leo wichen ehrfürchtig zur Seite. Sie blendete alle anderen aus und sprach nur mit mir, als wären wir allein:
    „Ja, ich bin deine Mutter. Und ich werde nicht eher ruhen, bis du in Sicherheit bist und dich niemand mehr für seine Zwecke missbrauchen kann. Ich hoffe, du verstehst jetzt, warum ich dir so vieles nicht sagen konnte. Ich wünschte, alles wäre leichter gewesen und hätte sich entwickelt, ohne dass deine Welt so aus den Fugen gerät. Du hättest dein Zuhause behalten, deine Eltern, mich als Freundin, bis du deinen Weg gefunden hast …“
    Ich sah Clarissa an und sah durch sie hindurch. Meine Chatfreundin, sowas, was ganz viele Leute hatten, war erst ein Geist, dann eine magische Terroristin und nun meine Mutter. Ich empfand diese große Vertrautheit mit ihr, so wie ich sie mit Delia nicht kannte und natürlich auch nicht mit Gregor. Gleichzeitig war es ein Schock. Sie war ein Geist. Sie lebte irgendwie und irgendwie nicht. Sie hatte Menschenleben auf dem Gewissen und irrte herum, weil sie nicht wollte, dass ich so wurde wie sie. Und zu allem Überfluss war sie ungefähr so alt wie ich.
    Ich ließ alles auf mich niederprasseln, die ganze Situation. Delia stand plötzlich im Türrahmen, gestützt auf Neve und sah verwirrt in die Runde. Es war ihr eindeutig anzusehen, dass sie keinen Schimmer besaß, was hier vor sich ging. Gregor hatte es nicht für nötig befunden sie einzuweihen. Er hatte sie einfach benutzt. Ich konnte mir vorstellen, wie das mit der Adoption abgelaufen war. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie Delia überhaupt ein Kind bekommen konnte, bei ihrer enormen Sorge um ihren makellosen Körper. Wahrscheinlich war ich ein Unfall gewesen und sie hatte ihre Schwangerschaft zu spät bemerkt, so lautete für mich die bisherige Erklärung meiner Existenz.
    Aber nun stellte sich heraus, dass ich ein Adoptivkind war. Es passte hervorragend. Warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Ich konnte mir vorstellen, wie Gregor Delia eingeredet hatte, was für eine großartige Idee eine Adoption darstellte, weil damit ihr Körper keinen Schaden nahm. Vielleicht hatte Delia die Idee sogar richtig gut gefunden. Vielleicht auch nicht. Das konnte ich nicht einschätzen.
    Fakt war, ich gehörte in Wirklichkeit nicht zu diesem übersatten Leben in einem Prenzlberger Dachgeschoss. Das war eine Erleichterung und gleichzeitig zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich wollte weg, nur weg, sofort. Ich hatte so viele Fragen, besonders an Clarissa. Aber ich musste zuerst raus aus dieser Situation. Irgendwohin, zu Tim … der nicht mehr für mich da sein konnte. Der Gedanke war entsetzlich. Plötzlich spürte ich eine unbändige Lust, einfach das zu sein, was so viele von mir erwarteten: böse. Ich war die Tochter eines Terroristen und einer Terroristin. Ich würde Minchin töten, die magische Welt zerstören, die reale Welt, Jeromes Geheimbund, Gregors Werk, einfach alles und dann mit Tim fliehen. Ich konnte das. Doch ich rührte mich nicht von der Stelle.
    Jerome starrte Clarissa an, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Dann sagte er ganz langsam:
    „Du hast alles verdorben. Dafür habe ich deiner Tochter nicht das Leben gerettet. Alexander hatte recht. Frauen sind zu schwach.“
    „Natürlich hast du ihr nicht aus Nächstenliebe das Leben gerettet, sondern um ihre Macht zu nutzen. Deshalb bin ich noch da. Um das zu verhindern. Ich hätte sie dir nie anvertraut, wenn ich eine andere Wahl gehabt hätte“, gab sie zurück.
    „Ich habe dich einmal verehrt, Clarissa. Du warst mein größtes Vorbild.“
    „Aber nur so lange, wie ich mit deinen Machtfantasien im Einklang war. Nur so lange hast du auch Josepha, deine Freundin, beschützt … und sie dann in eine Anstalt gesteckt, als sie nicht mehr so wollte wie du.“
    „Das ist nicht wahr“, brauste Jerome auf. Seine donnernde Stimme jagte mir eine Gänsehaut über die Arme. Delia flüsterte:
    „Mit wem spricht er denn?“ Niemand beachtete sie. Clarissa reagierte mit gelassener und klarer Stimme:
    „Das hatte ich auch gehofft. Eine Weile sah es so aus, als hättest du dich eines Besseren besonnen. Du warst im Rat. Ich dachte fast, dass du wirklich besorgt wärst um Kira. Aber du hast dich sehr gut getarnt.“
    Auf einmal wechselte Jerome seinen Gesichtsausdruck. Ein hämisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
    „Wie dem auch sei, Clarissa. Du bist ein Geist, der keine Ruhe findet. Du kannst nicht wirklich

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