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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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was ausrichten, nur ein bisschen herumspuken und große Töne spucken. Kira ist nicht nur deine Tochter. Sie ist auch die Tochter von Alexander. Sie ist stark und wild. Wir werden sie jetzt mitnehmen und niemand im Raum kann irgendwas dagegen tun.“
    Clarissa schwieg. Ich spürte, wie Angst in mir hochkroch. Jerome hatte recht. Jerome wusste, was er tat. Ich wollte auf Clarissa losstürzen und sie umarmen. Sie war meine Mutter! Langsam kam es bei mir an.
    Delia nahm ein Sprudelwasser aus dem Schrank und goss sich mit zitternden Händen ein Glas ein. Sie flüsterte Gregor zu:
    „Spricht er etwa mit der Mutter von … Kira … Ach Gott ... Aber wo hat er denn sein Handy?“
    Wieder bekam sie keine Antwort. Arme, dumme Delia, dachte ich nur, obwohl ich nie wieder so über sie denken wollte. Leo machte ein paar Schritte auf mich zu und nahm meine Hände. Ich ließ es geschehen. Ich spürte, dass es zwecklos war, sich zu wehren. Vielleicht sollte ich mich meinem Schicksal ergeben. Erst mal. Ich sah zu Clarissa. Sie nickte. Sie fand richtig, wie ich handelte. Ich sollte keinen Aufstand machen. Ich wollte auf sie hören. Sie war klug. Sie war meine Mutter.
    „Ich glaub an dich“, flüsterte sie mir zu.
    „Du bist ... meine Mutter“, sagte ich. Meine Stimme gehorchte mir nicht richtig. Aber ich wollte ihr unbedingt sagen, dass ich die Tatsache anerkannte.
    Leo führte meine Arme um seine Taille.
    „Es tut nicht weh. Du musst nur ganz stillhalten, damit ich dich vollständig einhüllen und mitnehmen kann. Dann ist es nicht gefährlich, hörst du?!“
    „Ist das ihr Freund?“, hörte ich Delia fragen. Natürlich bekam sie keine Antwort.
    Das Unvermeidliche geschah. Jerome, Leo und Igor begannen sich in Rauch aufzulösen. Ich roch den vertrauten Gestank. Die alte Angst war sofort wieder da, auch wenn ich jetzt wusste, was hinter den Schatten steckte. Es roch nicht gut. Es war nicht gut. Ich hustete. Leo hielt mich fest. Ich vergrub meine Nase in seiner Armbeuge und atmete Leos Geruch. Ich suchte nach Hoffnung in der allumfassenden Leere und Schwärze, die in mir war, und die sich um mich ausbreitete. Vielleicht sollte ich still sein, mich anpassen, mich ausbilden lassen, so, wie es Jerome getan hatte. Und wenn ich so weit war, dann konnte ich mich befreien. Ich dachte an Jane Eyre . Ich hatte es gehasst, als wir dieses altmodische Buch von Charlotte Brontë , das die Geschichte eines Waisenkindes erzählte, im Deutschunterricht lesen mussten. Es war todlangweilig. Wie sollte man verstehen, dass es immer noch das meist gelesene Buch in der Weltgeschichte war? Für unsere Generation würde das bestimmt nicht mehr gelten. Trotzdem erinnerte ich mich jetzt an ihre unverbrüchliche Stärke, an die vielen Verletzungen und Verluste und dass sie durch ihre stählerne Kraft am Ende doch noch das Glück gefunden hatte. Vielleicht konnte ich Leo auf meine Seite bringen. Vielleicht würde er dann mit mir gehen. Tim musste ich vergessen. Das war das Vernünftigste. In den seltensten Fällen kam jemand mit seiner ersten, großen Liebe zusammen. Nur bei uns war so schlimm, dass wir unsere Liebe nie leben konnten, dass sie uns weggenommen worden war, bevor wir sie überhaupt hatten.
    Ich war von dem Rauch völlig eingehüllt. Ich konnte niemanden mehr sehen. Wo war Clarissa? Würde sie mit mir kommen? Es blitzte und donnerte, als würde plötzlich ein gewaltiges Unwetter aufziehen. Gehörte das zu dem Prozess dazu? Bis jetzt hatte ich ihn mir immer lautlos vorgestellt. Der dicke, stinkende und in den Augen ätzende Qualm verzog sich etwas. Ich sah, wie Regen gegen die Glasscheiben der Terrasse prasselte. Es waren kleine weiße Eisklumpen, Millionen. Ein Ruck ging durch den Boden. Ich sah in Leos Gesicht, dann in Jeromes. Sie wirkten alarmiert. Irgendwas schien auf einmal schrecklich schief zu gehen.
    Der Fußboden vibrierte wie bei einem Erdbeben. Dann ging die angeknackte Terrassenscheibe in einem mörderischen Lärm zu Boden und zerfiel in tausend Scherben. In dem Moment wunderte ich mich, dass die Nachbarn noch nicht vor der Tür standen oder die Polizei alarmiert hatten. Delia schrie wie am Spieß. Gregor packte sie und hielt ihr unsanft den Mund zu. Er nickte Jerome zu und bugsierte sie aus dem Raum. Es sah so aus, als wäre er froh, endlich einen Grund gefunden zu haben, die Szenerie zu verlassen. Das war Jeromes Baustelle. Schlimm genug, dass sie in Gregors Wohnstube aufgemacht worden war. Ich sah seinen Ärger an seinem

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