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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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gegenüber mir und Leo. Es wäre unfair, mit Leo zusammen zu sein, nur weil ich es mit Tim nicht konnte. So eine Lebenslüge durfte ich nicht leben. Lieber würde ich mein Leben lang allein bleiben. Diesen Beschluss fasste ich, während sich Neves Wolken langsam um uns herum auflösten.
    Tim erhob sich und zog mich an der Hand mit hoch. Gerade waren wir noch allein gewesen. Jetzt standen wir mitten in einem Halbkreis, den Jolly, Sulannia, Ranja und Kim bildeten. Ich hatte kein bisschen bemerkt, wie sie gekommen waren. Oder waren sie die ganze Zeit schon anwesend? Ob sie Tim und mich beobachtet hatten? Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Auch Neve war noch da. Sie wartete etwas abseits auf einem Waldpfad, der Richtung Sonnenuntergang führte. Ich registrierte, dass der Himmel sich inzwischen wunderschön rosa gefärbt hatte und zwischen den Baumstämmen in zartes lila überging. Ich hörte auch wieder Vögel. Mir kam das Bild vor Augen, als ich am ersten Schultag der zwölften Klasse aus dem Fenster meines Zimmers geblickt hatte. Das Gefühl, in meinem Dachzimmer über allem zu thronen, aber trotzdem gefangen zu sein, während die Vögel in der Tiefe des Himmels verschwanden und nach Süden flogen, in eine unbekannte und warme Welt. Ich spürte das gleiche Gefühl. Ich war frei, den Vögeln ein bisschen näher und doch noch gefangen. Ich wusste, was vor mir lag und wusste es nicht. Ich hatte Angst, nur dass die Angst irgendwie „elementarer“ war als die vor den Abi-Prüfungen, im wahrsten Sinne des Wortes.
    „Komm, folge mir. Hier geht es zur U-Bahn“, richtete sich Neve an Tim. Wir sahen uns ein letztes Mal in die Augen. Ich staunte, dass der Rat ihn gehen ließ. Das gab mir ein bisschen Hoffnung.
    Ich blickte ihnen nach, Tim mit seinen loddrigen Jeanshosen, der begehrteste Typ der Schule und neben ihm ein zarter Engel, in einem weißen Kleid. Neve war mindestens zwei Köpfe kleiner als er.
    Die vier standen immer noch wortlos um mich herum. Vielleicht warteten sie, dass ich etwas sagte.
    „Es tut mir leid“, brachte ich hervor und wusste, dass dieses Eingeständnis furchtbar dünn klang. Ich starrte dabei Sulannia an. Ihre Haare hingen ihr kurz und zottelig bis knapp über die Ohren und standen in alle Richtungen ab. Ehe ich selber verstand, was ich tat, ging ich auf die zu und legte ihr beide Hände auf den Kopf. Sie hatte Wunden an der Kopfhaut und kleine Stellen, die blutverkrustet waren. Ich wollte, dass sie wieder in Ordnung kam, dass sie keine Schmerzen mehr hatte, dass sie ihre alte Haarpracht zurück erhielt. Erde war Haut, Wasser war Blut, Luft war Sauerstoff, Feuer heilende Wärme und Äther der Geist, der aus allem eine neue Qualität hervorbrachte. Ich dachte an Sulannias Schönheit, sah sie mit ihrem langen fließenden Haar vor mir, wie an meinem ersten Tag in der magischen Welt und spürte, wie sich ihr Haar unter meinen Händen bewegte. Sie stand ganz still, niemand sagte etwas. Mir kam es wie lange Minuten vor, aber wahrscheinlich waren es in Wirklichkeit nur Sekunden. Sulannias Haar begann wieder über ihre Schultern zu fließen. Die Wunden an ihrem Kopf schlossen sich. Es war ein wunderbares Gefühl, ihr ihre Unversehrtheit und Schönheit wieder zurück zu geben.
    „Ich werde Ärztin“, flüsterte ich.
    ***
    Draußen war es dunkel und still. Die Sterne glitzerten herein. Die frische Bettwäsche duftete. Neve hatte sie neu für mich aufgezogen. Ich lag in meinem Zimmer. Es war jetzt das einzige Zimmer, das ich besaß. Ich hatte nicht nur meine Eltern verloren, alle, die biologischen und die nicht biologischen. Die Wohnung, in der ich aufgewachsen war, gab es ebenfalls nicht mehr. Aber über all das in mir, hatte sich eine dicke, beruhigende Decke gelegt. Ich spürte keinen Schmerz mehr. Ich würde darüber hinweg kommen. Ich wohnte in diesem Zimmer, in dem ich mich zu Hause fühlte und ich hatte einen neuen, tiefen Lebenssinn gefunden. Ich wusste endlich, wofür ich geboren war und wofür ich die Ausbildung machen würde. Das schönste Gefühl gab mir jedoch der Umstand, dass mir meine Fehler verziehen worden waren. Ich wusste endlich, wem ich vertrauen konnte.
     
    Dank des Rates hatte es keine Toten gegeben. Das Gebäude von H2Optimal war für den Wiederaufbau der obersten Etagen gesperrt worden. Die Wiederaufbereitungsanlage hatte einen Totalschaden erlitten. Einige Verletzte mussten vorrübergehend in Krankenhäusern behandelt werden. Doch die vier verbliebenen Mitglieder des Rates

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