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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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standen, während sich Sanitäter um die Verletzten kümmerten. „Hoffentlich ist es für diese Erkenntnis nicht zu spät.“
    „Deine Geschichte ist eine ganz andere Geschichte.“
    „Aber wenn Menschen ums Leben …“
    Ich konnte nicht weitersprechen.
    „Der Rat hat die Situation gut im Griff. Du unterschätzt ihn immer noch.“
    Neve behauptete das mit erstaunlicher Sicherheit. Ich forschte in ihrem Gesicht und erinnerte mich an die rätselhaften geistigen Verbindungen, die es zwischen ihr und den Mitgliedern des Rates geben musste und die die Mitglieder des Rates auch untereinander verband.
    „Ich habe Angst, dass sie mir nicht glauben werden. Die wahre Geschichte klingt zu verrückt.“
     „Mach dir darüber keine Sorgen. Sie wissen über alles Bescheid. Sie haben es kapiert. Ich habe Kim den Ablauf meiner Gedanken sehen lassen.“ Neve schüttelte sich ein wenig. Ich verstand nicht ganz, was sie mir sagen wollte. Neve fuhr fort:
    „Ich mag sie nicht, weißt du. Bisher hätte ich mir jeden vorstellen vorstellen können, jeden, außer Kim, der in meinen Gedanken herumwühlen würde. Aber es musste sein. Dadurch konnte sie sehen, was wirklich geschehen ist. Die Bilder, die Dialoge im Wohnzimmer mit … “ Neve stockte.
    „… meiner Mutter“, beendete ich den Satz. Das letzte Gespräch mit ihr war der schlimmste Schmerz, aber es half nichts, ihm aus dem Weg zu gehen. Neve schluckte kurz, dann fuhr sie fort:
    „Kim ist zwar ein Eisengel, aber sie würde nie die Wahrheit verzerren, auch wenn sie jemanden nicht mag. Der Rat weiß jetzt, was in dir vorgeht. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie alles entschuldigen werden. Andererseits, sie haben ebenfalls Fehler gemacht. Sie haben zu schnell geurteilt. Und das ist ihnen klar.“
    „Sie wissen auch, dass ich bei dir bin, nicht wahr?!“
    Neve sah mich nur an.
    „Und sie wissen, wo wir stecken“ ,forschte ich weiter und versuchte, ihren Blick zu deuten. Ich verstand ihn. Ich hatte recht und analysierte weiter:
    „Sie wollen sehen, wie ich mich entscheide. Ob ich weglaufe oder mich stelle.“
    Neve nickte mir zu und lächelte mich an. Dann erhob sie sich.
    „Ich besorge Tim ein paar warme Sachen. So kann er ja nicht nach Hause …“
    „Nicht nötig“, sagte ich. Tim sah mich an und ich betrachtete die kleinen goldenen Flecken, die immer so schön in seiner dunkelbraunen Iris glitzerten. Ich schlang meine Arme um Tim und fuhr ihm mit den Fingern durch seine nassen Haare. Es knisterte. Im Nu waren sie trocken. Auch seine Haut, sein Sweatshirt und seine Hose knisterten überall da, wo ich ihn berührte. Der Stoff trocknete in Windeseile. Neve zog sich hinter einen Baum zurück und war nicht mehr zu sehen. Solche Szenen waren ihr furchtbar peinlich. Tim lächelte.
    „Ich glaube, es hat zwischen mir und jemand anders noch nie so geknistert wie bei uns“, witzelte Tim. Wir mussten lachen und hielten uns eng umschlungen. Er flüsterte:
    „Ich glaube an dich. Ich habe immer an dich geglaubt.“
    „Ich weiß. Ich werde nicht zulassen, dass Minchin …“
    „Ich weiß.“
    Er überspielte seine Traurigkeit mit einem Lächeln. Es machte nicht den Eindruck, als wenn er einen Ausweg sah.
    Tim gab mir einen Kuss auf die Stirn. Er duftete wie frisch gebügelt.
    „Mit dir brauch man im Winter nicht in die Südsee fahren.“
    Ich seufzte. Am liebsten wäre ich noch viele Stunden mit Tim hier im Wald geblieben, fern von unseren vielleicht unlösbaren Problemen.
    „Ich muss gehen.“ Tim ließ mich los und sah mich sehr feierlich an. Er knüpfte sein schmales Halstuch aus dunkelblauer Seide ab, das er immer trug und band es mir um.
    „Ich liebe dich.“ Seine Stimme war aufrichtig, fest und klar. Es war das erste Mal, dass jemand diese drei Worte zu mir sagte. Sie gingen mir durch und durch. Es war ein Versprechen, trotz allem. Und ich glaubte ihm, dass er es hielt. Ich senkte den Blick, damit er nicht bemerkte, wie verlegen ich war. Plötzlich war mir der Unterschied meiner Beziehung zu Tim und der Anziehungskraft von Leo klar. Leo, das waren Gefühle des Überschwangs, aus bestimmten Momenten heraus, die ganz gewöhnlichen und flüchtigen Gefühle von Verliebtheit. Mein Gefühl für Tim dagegen war … irgendwie tiefer, ernster, umfassender, erhaben, so dass ich den Eindruck hatte, ich musste noch hineinwachsen. Ich wollte hineinwachsen. Ich wollte mich nicht mehr mit weniger zufrieden geben, nur weil die Umstände es verlangten. Ich wäre unehrlich

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