Himmelstiefe
stimmte trotzdem. Das wurde mir in dem Moment klar. Ich verkniff es mir zu antworten, dass auch er recht hatte. Kim verschränkte die Arme. Wir würden uns nie mögen. Zum ersten Mal fragte ich mich, was eigentlich ihre Geschichte war. Warum war sie so? So hart und kalt. Sulannia fuhr fort:
„Aber es gibt Gründe für Kiras Verhalten. Wir alle kennen sie inzwischen und ich möchte sie nicht noch mal wie Schwerter durch die Luft sausen lassen.“
Darüber war ich unendlich froh und amüsierte mich insgeheim über ihre poetische Wortwahl. An der Sprache merkte man am meisten, dass der eine oder andere schon so einige Zeiten miterlebt hatte.
„Das sehe ich anders“, fiel Kim wieder ein, „Die Weisung lautete, dass weitere Fähigkeiten und besondere Vorkommnisse dem Rat berichtet werden müssen.“
„Jerome war im Rat. Ich habe ihn über meine Affinität zu Feuer in Kenntnis gesetzt“, verteidigte ich mich.
Kim war einen Moment aus dem Konzept. Dann gab sie zurück:
„Er hat dir von Clarissa und Alexander vorgeschwärmt. In dem Moment hättest du ihm nicht mehr trauen dürfen und zu uns kommen müssen. Aber das tatest du nicht. Du warst begeistert. Und hast dich sogleich an den Hals von Jeromes erstem Jünger – Leo – geworfen. So sieht es aus.“
„Das habe ich nicht. Zumindest nicht gleich …“ Leider hatte Kim nicht ganz unrecht. Natürlich hatte es eine Phase gegeben, in der ich begeistert gewesen war. Ich schwieg. Ich wollte mich nicht herausreden. Trotzdem …
Ranja verteidigte mich:
„Es war vorrübergehend. Du müsstest doch am besten wissen, wie das ist … Kim“, sagte sie mit Nachdruck. Ich verstand nicht ganz.
„Das kann man nicht vergleichen. Es hatte nicht diese Hintergrundgeschichte!“, brauste Kim auf. Die Wipfel der umstehenden Bäume rauschten auf einmal.
„Weil du nicht die Tochter von Clarissa und Alexander warst, aber vor allem, weil er dich nach einem Wochenende wieder fallen gelassen hat“, zischte Ranja. Ich sah zu Kim. Sie sah über mich hinweg, reckte das Kinn stolz nach vorn und sagte nichts mehr. Wenn ich alles richtig verstand, hatte sie mal was mit dem Frauenschwarm der magischen Akademie gehabt. Das erklärte einiges.
Ranja ergriff noch einmal das Wort:
„Wir alle tragen einen Teil der Schuld. Ich habe Jerome misstraut, ich hatte den Verdacht, dass Kira etwas verbirgt, aber ich bin dem nicht konsequent nachgegangen. Kim hat sich aus ihrer Eifersucht heraus verschlossen. Warum sollte ihr Kira etwas anvertrauen? Jerome war Kiras Ansprechpartner. Ich weiß am besten, wie warmherzig und einnehmend er sein kann. Ich war blind, weil ich ihm aus meiner eigenen Geschichte mit ihm nicht misstrauen wollte. Das war eine schwerwiegende Fehleinschätzung.“
Oh je, dahinter steckte wohl auch eine Art Beziehungskiste, die an die Wand gefahren war. In diesem Moment kamen mir all diese Leute mit den besonderen Kräften wieder wie sehr normale Menschen vor.
„Kira hat geschwiegen und sich den falschen Kreisen zugewandt, weil sie unsere angeblichen Gesetze gefürchtet hat. Und wir sind auf sie losgegangen, ohne die genauen Hintergründe der Geschichte zu kennen. Es ist Neve zu verdanken, dass sie uns vor einem großen Fehler bewahrt hat.“
Mir wurde klar, wie nah ich der Gefahr einer Löschung gewesen war, als der gesamte Rat in meinem ehemaligen Wohnzimmer auftauchte. Sie waren gekommen, um uns alle unschädlich zu machen. Mein völliges Ausrasten hatte meine Löschung verhindert. Darüber hinaus erfuhr ich, dass Jerome mich einmal mehr belogen hatte: Noch nie hatte der Rat Fähigkeiten von Schülern gelöscht, nur weil sich eine Doppelbegabung zeigte. So etwas wurde nur beschlossen, wenn sich Leute mit Doppelbegabungen schwere Dinge zuschulden kommen ließen. Aber das betraf nicht nur doppelt Begabte, auch Menschen, die die Macht über nur ein Element besaßen. Sie mussten unschädlich gemacht werden, sobald sie zur Gefahr wurden. Jerome hatte das falsch dargestellt, um zu verhindern, dass ich Vertrauen zu Jemandem im Rat aufbaute. Wie infam das war! Warum hatte ich das alles nicht durchschaut? Andererseits, wie sollte ich? Die Mitglieder des magischen Bundes waren keineswegs unschuldige Opfer des Rates. Sie waren eine Bande von kleinen Verbrechern, die mit Recht ihr Schicksal trugen. Sulannia nannte einige Beispiele. Ihre Geschichten konnte man nachlesen in einer von Pio verfassten Chronik.
Ranja spürte meine Wut auf das alles.
„Er hat nicht nur dich reingelegt.
Weitere Kostenlose Bücher