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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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schlafen. Du brauchst neue Kräfte“, flüsterte sie und sah mich an mit ihren großen blauen Augen.
    Meine Lider waren schwer und ließen sich nicht mehr kontrollieren. Ich spürte die süße bleierne Schwere in allen Gliedern. Ich sah Tim vor mir, wie er vor mir in der Küche stand und mich gleich küssen würde. Tim hatte nicht geglaubt, dass ich krank war. Und er hatte recht. Ich war nicht krank. Ich war … nur ein bisschen magisch. Am liebsten wollte ich ihm alles sofort erzählen. Aber das ging ja nicht.
    Inzwischen wusste ich, dass es weder Telefone noch Handys in der magischen Welt gab. Nur einen PC mit Internetanschluss bei einem gewissen Pio. Von dort durfte ich eine E-Mail an Tim schreiben, alles, nur nicht die Wahrheit. Denn wenn er versuchen würde, mich zu finden, war das gefährlich für ihn, lebensgefährlich. Ich dachte an diejenigen ohne magische Talente, die sich in den Durchgängen verirrten und nur noch tot in der magischen Welt ankamen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Tim würde mich suchen, das wusste ich. Egal, wie sehr ich ihn warnen würde. Er hatte mir gesagt, dass er die Welt hinter der Welt finden wollte und er würde nichts unversucht lassen. Ich musste ihn schützen. Also konnte ich nur schreiben, dass ich im Ausland war. Aber würde er das glauben? Wahrscheinlich nicht. Das war der letzte klare Gedanke, danach verlor ich mich in einem diffusen Nebel unlogischer Gedankenfetzen, bis ich hinüber in das selige Nichts des Schlafes glitt.
    ***
    Zuerst dachte ich, jemand hätte einen Sack bunter Edelsteine auf meiner Decke ausgeschüttet. Dann realisierte ich, dass es sich um glitzernde Lichtflecken handelte, die durch den Spalt zwischen den Vorhängen auf mein Bett trafen. Für einen Moment verharrte ich in diesem zauberhaften Anblick und wohligen Nichtwissen. Dann schüttelte mein Bewusstsein die letzte Lähmung des Schlafes ab und mir fiel alles wieder ein. Unglaubliche Dinge waren geschehen und ich hatte sie nicht nur geträumt, falls es sich nicht um einen Traum in einem Traum handelte. Ich stand auf, ging zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. Der Himmel draußen war ein faszinierendes Gemälde aus Rosarot-, Lila-, und Blautönen, übersät mit glitzernden Sternen – die schönste Dämmerung, die ich je gesehen hatte. Sie tauchte alle Häuser und Wiesen in einen unwirklichen lilagoldenen Ton. Mein Herz bekam einen kleinen Stich, als ich plötzlich den Typen vorbeilaufen sah, der mich gestern wegen meines Pyjamas aufgezogen hatte. Er bog in das übernächste Haus ein, ein Haus mit schwarzen Schindeln, schwarzem Fachwerk, weißen Balken und weißen Fensterläden. Die Fensterläden waren geschmückt mit Blumenkästen, in denen tiefrote Blumen blühten, die Ähnlichkeit mit Tulpen hatten und zu brennen schienen. Das Haus wirkte exzentrisch. War das Zufall oder konnte jeder sein Haus selbst gestalten? Jedenfalls, gut zu wissen, wo der Schnösel wohnte. So konnte ich mich drauf vorbereiten, ihm bald eine Retourkutsche zu verpassen. Wenn ich schon an eine neue Schule geraten war, dann würden hier ein paar Dinge anders laufen.
    „Hey, guten Abend, du bist wach. Wie hast du geschlafen?“
    Ich drehte mich um. Hinter mir stand Neve in einem blütenweißen Kleid und strahlte mich an. Jetzt sah sie genau so aus, wie ich mir als Kind einen Engel vorgestellt hatte, nur dass ihr die Flügel fehlten.
    „Oh, sehr gut. Das war der erholsamste Mittagschlaf seit langem.“
    „Mittagschlaf? Du hast anderthalb Tage verschlafen.“ Ich starrte sie mit offenem Mund an.
    „Das ist normal. Manche schlafen sogar drei Tage. Komm, zieh dir was an. Das ist die schönste Tageszeit, um dir alles zu zeigen. Und dann holst du mich einfach in meinem Zimmer ab, ja?! Ich warte auf dich.“ Und schon war sie verschwunden. Diesmal hörte ich keine der Holzstufen knarren. Wahrscheinlich war sie nach oben geschwebt.
    Ich dehnte und streckte mich, machte einen Sprung vorbei an dem riesigen Spiegel und öffnete die kleine Tür neben dem Kleiderschrank. Dahinter verbarg sich ein kleines, weiß getünchtes Bad mit einer altmodischen Badewanne. Ich fragte mich, ob Neve auch keine Toilette brauchte, putzte mir die Zähne und riskierte dann doch mal einen Blick in den Spiegel. Das Grün meiner Augen schien noch intensiver geworden zu sein. Meine Haut war jetzt eindeutig olivfarben, als hätte ich das ganze Jahr in Orvieto unter der italienischen Sonne verbracht und meine dunkle, ins Rot schimmernde Mähne

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