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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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würde inzwischen für jede Shampoo-Werbung gut genug sein. Ich lächelte mich an. Das hatte ich noch nie mit meinem Spiegelbild getan. Ich fühlte mich stark und gesund wie lange nicht. Sollte ich vielleicht ein Kleid anziehen wie Neve? Neves gute Laune schien sich auf mich zu übertragen. Dabei steckte ich doch in großen Schwierigkeiten. Gleichzeitig wirkte meine Umgebung so friedlich und verklärt, dass es irgendwie nicht bei mir ankam. Ich sollte bald die Mächte der Erde beherrschen können? Schwer vorstellbar. Im Kleiderschrank fand ich eine schwarze Schlauchhose und ein doppelt genähtes Shirt mit schwarzer Kapuze, Taschen, Reißverschluss und grauen Ärmeln, die am Bündchen großzügig ausgefranst waren. Dazu ein paar dunkelgrüne Chucks aus stabilem Material. Wie kam es, dass die Sachen in meinem Schrank genau nach meinem Geschmack waren? Ich band meine Haare mit einem breiten roten Stoffgummi zusammen, von denen einige in verschiedenen Farben in einem bunten Beutel am Spiegel hingen. Dann stieg ich die Treppen hoch. Neves Tür stand offen.
    „Komm rein!“, rief sie.
    Neves Zimmer sah aus wie eine Bibliothek. Rundum ragten Bücherwände bis zur Decke. Am Fenster stand ein großer Schreibtisch, vollgeladen mit Büchern und Papier. Da, wo bei mir das Badezimmer war, hatte Neve eine Nische mit einem kleinen Fensterchen und einem großen roten Lesesessel. Ein Bett gab es nicht. Ihr Schlafzimmer musste noch woanders sein, vielleicht in der Turmspitze? Oder hatte ich im Erdgeschoss etwas übersehen?
    „Ich brauche kein Bett. Als Engel schläft man nicht.“
    Erschrocken fuhr ich zusammen.
    „Du kannst Gedanken lesen …“
    Neve schmunzelte und hakte mich unter.
    „Wenn sie dir ins Gesicht geschrieben stehen, schon! Aber ich glaube, dass kann jeder, der halbwegs aufmerksam ist. Komm, wir gehen, sonst ist die schöne Abenddämmerung fort.“
    Sie zog mich die Treppe hinunter und wir traten hinaus in eine herrlich laue Abendluft. Sie konnte also keine Gedanken lesen, zumindest nicht so richtig. Das erleichterte mich. Ich versuchte mir immer noch Neves Dasein vorzustellen.
    „Dann brauchst du also auch kein …“
    „Bad? Nein, natürlich nicht.“
    „Dann bist du also doch ein … richtiger Engel?“
    „Ja, das bin ich“, sagte Neve feierlich. Ich verstand nicht ganz, warum sie es so feierlich sagte. Als wäre es ihr ganzer Stolz. Und ich verstand nicht, warum Neve ein Engel war und Kim nur jemand, der mit den Engeln des Äthers kommunizieren konnte.
    „Pass auf!“, unterbrach Neve meine Gedanken. „Ich gebe dir jetzt eine kleine Führung.“ Wir betraten den Wald, der im Abendlicht bläulich-lila schimmerte.
    „Du musst dir diesen ganzen Ort hier wie eine Blase vorstellen, ein Raum hinter der dir bekannten Welt, den nur wenige betreten können. Wir gehen durch den Wald, einmal im Kreis, um die Lichtung herum. An seinen Rändern befinden sich die Durchgänge. Den magischen See kennst du ja schon.“
    Der Wald lichtete sich und ich sah sein Glitzern. Ein leichtes Zittern ging durch meinen Körper. Den Weg war ich gekommen, vor zwei Tagen.
    „Ist der See immer mit Blüten verschneit oder hat das mit der Jahreszeit zu tun?“
    „Immer. In der magischen Welt gibt es keine Saison.“
    Das heißt, es ist immer so wie jetzt?“
    „Immer.“
    „Auch das Wetter?“
    „Das Wetter kann sich ändern. Je nachdem, wer gerade mit den Elementen experimentiert und dabei vielleicht Fehler macht. Aber das passiert nicht oft. Dann nieselt es mal kurz oder es fallen ein paar Schneeflocken. In Extremfällen wie Sturm oder starken Regengüssen gibt es Ärger für den, der das verursacht hat. Meist ist es so wie heute, sonnig und warm.“
    Wir liefen am See entlang. Er war lang und verschwamm am Horizont mit dem lila verfärbten Himmel.
    „Und wenn man durch diesen See taucht, kehrt man zurück in die reale Welt?“
    „Mit dem Element Wasser, ja. Aber erst, wenn man es beherrscht. Vorher gelingt das nicht. Du musst es wirklich beherrschen und den Abschluss haben. Sonst ist es lebensgefährlich.“
    Wir waren am Ende des Sees angelangt. Plötzlich nahm Neve meine Hand und zog mich ans Ufer: „Schau, dort sind einige Undinen.“
    Wir hockten uns auf einen Felsvorsprung. Das Wasser war tiefblau und klar. Ich sah drei wunderschöne Gestalten vorbeigleiten, langgliedrig und dünn, mit weißen Haaren bis zu den Fersen, fließenden Gewändern und ebenmäßigen Gesichtern. Sie lächelten uns zu und verschwanden langsam in

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