Himmlische Juwelen
der Bemerkung: »Ich weiß.
Die Sache klingt so verrückt, dass es mir fast peinlich ist. Außerdem weiß ich
nicht, wie viel du wissen darfst.«
Caterina blieb vor der Brücke stehen und zog die Ältere [55] aus dem
Strom der Passanten. »Roseanna, ich kenne den Komponisten, und Leute wie diese
Cousins kenne ich auch zur Genüge. Seit ich von dem Schatz weiß, kann ich mir
lebhaft vorstellen, warum die beiden so wild auf die Truhen und ihren Inhalt
sind.« Caterina hielt diese Geheimniskrämerei einfach nicht mehr aus: »Glauben
die wirklich, die anderen Bewerber, die den Job nicht bekommen haben, behalten
all das für sich?«
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr geriet sie in Rage. Was
bildeten diese Idioten sich ein, was in diesen Truhen steckte? Die verschollene
Urschrift von Monteverdis Arianna ? Eine verschwundene
Papst-Tiara? Das Schweißtuch der Veronika?
Roseanna wollte etwas sagen, doch Caterina kam ihr zuvor. »Du hast
davon angefangen, du hast das Wort ›Schatz‹ in den Mund genommen. Nicht ich.
Also erzähl mir, was Sache ist.« Ihr Herz hämmerte, Schweiß trat ihr auf die
Stirn, aber sie riss sich zusammen, denn ihr war klar, dass sie nichts in der
Hand hatte, womit sie drohen konnte. Sie brauchte den Job, und die
Wissenschaftlerin in ihr war erpicht auf die Dokumente.
Roseanna rückte von ihr ab, als spürte sie Caterinas brennende
Ungeduld, machte aber keine Anstalten, über die Brücke zu gehen. Sie verzog die
Lippen, hielt den Blick auf ihre Schuhe gesenkt und hängte ihre Tasche auf die
von Caterina abgewandte Schulter. »Nur dass du es weißt, es gab keine anderen
Bewerber. Nur dich.«
»Und warum hat man mir dann erzählt, da wären noch andere?«, fragte
Caterina aufgebracht.
»Kapitalismus«, trumpfte Roseanna auf.
[56] »Wie bitte?«
»Um deinen Preis zu drücken.« Roseannas Lächeln wirkte überzeugend.
»Wenn man denkt, es gibt zahlreiche Mitbewerber, ist man eher bereit, sich
unter Wert verpflichten zu lassen.«
Caterina hob peinlich berührt eine Hand vors Gesicht.
Roseanna hakte sich bei ihr unter und wandte sich zur Brücke. »Also
gut«, sagte sie. »Ich erzähle dir, was ich weiß oder zu wissen glaube.«
Ihre Geschichte war streckenweise unklar, voller Absicherungen und
Kehrtwenden, Auslassungen und Hinzufügungen, Korrekturen und Ergänzungen – eine
Mischung aus dem, was sie aufgeschnappt, was sie gelesen und was sie sich
zusammengereimt hatte. Aber sie füllte doch einige Lücken in Dottor Morettis
Darstellung und den Erläuterungen der beiden Cousins. Es gebe Briefe von
Steffani, in denen er von seiner Mittellosigkeit spreche. Caterina versuchte
sich zu erinnern, ob sie jemals einen Brief eines Barockkomponisten gesehen
hatte – oder überhaupt irgendeines Komponisten –, der sich über seinen Reichtum
beklagte. Es gebe jedoch – Roseanna hatte wahrhaftig viel Zeit in der Marciana
verbracht – auch einen Brief aus seinem letzten Lebensjahr, in dem er einige
seiner Besitztümer erwähnte, darunter Bücher, Gemälde und ein Schmuckkästchen
mit Inhalt. Im Verzeichnis seiner gut fünfhundert Bücher umfassenden Bibliothek
fänden sich Erstausgaben von Luther, die heute von enormem Wert seien.
»Und das ist der Schatz?«
Roseanna reckte vor Verzweiflung beide Arme zum Himmel. »Mein Gott,
steh mir bei. Wir wissen nicht, ob in den [57] Truhen überhaupt Papiere sind –
geschweige denn, was darin stehen könnte –, und jetzt rede ich selbst schon von
einem Schatz. Wir werden noch alle verrückt.«
Immerhin hatte Roseanna unwillkürlich den Plural benutzt, und das
war ein Trost. Verrückt war wirklich das Wort. Sie hatte genug von den Cousins
gesehen, um zu wissen, dass sie von dem Gedanken an einen »Schatz«, der sie
ohne Arbeit reich machen konnte, wie besessen sein mussten.
Dass irgendwelche Papiere in den Truhen tatsächlich zur Entdeckung
eines Schatzes führen könnten, daran mochte Caterina nicht glauben. Kaum
anzunehmen, dass ein Schatz bis zum heutigen Tag dort ruhte, wo man ihn einst
versteckt hatte. Aber diese Mutmaßungen brachten gar nichts ein. Sie setzte ein
verbindliches Lächeln auf und fragte: »Was hast du sonst noch in Erfahrung
gebracht?« Schmeichelnd fügte sie hinzu: »Ich selbst habe im Studium viel lesen
müssen und freue mich, dass du mein Interesse teilst.«
Roseanna, der ganze Jahrgänge von Studien zum
frühbarocken Kontrapunkt erspart geblieben waren, sah Caterina unsicher
an: »Ich habe nur die Geschichten aus
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